schreibend denken und fühlend verstehen wollen


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Lebst du deine Künstlernatur?

Bei „Künstler“ fällt mir Andy Warhol, Picasso oder Vincent van Gogh ein. Das sind Künstler! Regine Landwehr? Who is that? Geht dir das auch so?

Die Bestellerautorin Pam Grout sieht das das anders. Sie ist überzeugt,  dass Kreativität in jedem von uns steckt. Um uns davon zu überzeugen, zieht sie in „Entfessele deine Kreativität“ alle Register. Die Welt braucht deine Kreativität, ganz egal für wie dilettantisch du dich hältst. Dilettantisch, das kommt doch von „dilettare“. Das ist Italienisch und heißt „jemanden erfreuen“. Komisch, dass „jemanden erfreuen“ den gleichen Ursprung hat wie „Dilettant“. Heute ist ein „Dilettant“ jemanden, der keine Ahnung von seinem Fach hat. Aber bei den Römern war ein Dilettant noch jemand, der sich an seiner Tätigkeit erfreute. Eigentlich etwas, was wir uns alle wünschen. Aber unsere Gesellschaft ist der Ansicht, dass Fachleute sich ernsthaft mit ihrem Fach beschäftigen. Da ist kein Platz für Freude. Da geht es um den Ernst des Lebens. Also kein Wunder, dass Kreativität nur ernsthaften Künstlern vorbehalten ist.

Den Weg vom freudigen Dilettanten zum Verurteilung-fürchtenden Erwachsenen nennt man „erwachsen werden“. Das Theaterstück nach Robert Fulghums Essay „Alles, was du wissen musst, hast du schon als Kind gelernt“ zeigt die traurige Entwicklung. Im ersten Akt fragt die Kindergärtnerin die Kleinen:

-Wer von euch ist Tänzer? Alle rufen: Ich! Ich!

-Wer von euch ist Sänger? Wieder krähen die Kinder laut durcheinander und alle Hände gehen in die Höhe.

-Wer von euch ist Dichter? Der gleiche freudige Tumult.

Jahre später in der 4. Klasse, die Kinder werden noch einmal gefragt. Jetzt sieht das Ergebnis anders aus. Bei der gleichen Frage fällt die Reaktion verhalten aus. Nur ein Drittel der Schüler hebt die Hand. Und in der Oberstufe? Du kannst es dir schon denken. Ein, zwei verstohlene Handzeichen, mehr nicht.

Und zu welcher Gruppe gehörst du? Würdest du dich als Künstlerin, als Künstler bezeichnen?  Wenn nicht, wer hat dich vom Gegenteil überzeugt? Kreativität ist ein Grundbedürfnis. Und sie muss gepflegt werden, sonst verkümmert sie wie eine vergessene Blume auf dem Balkon. Und da stehen mitunter viele trockene Blumen.

Die eigene Arbeit ist von Lean Managern optimiert, das ist zwar effizient, der einzelne wird austauschbar, und die Freude an der Arbeit? Wir essen Speise, die andere gekocht und eingefroren haben. Wir schauen Sendungen, die andere entwickelt haben. Und wir hören Musik, die andere gemacht haben. Doch in uns schreit es nicht auf: SELBER MAAACHEEEN!!! Stolz zeigen wir die neuste Kamera unseren Freunden. Je mehr sie kann (also uns abnimmt), umso besser. Aber worauf sind wir da stolz? Dass wir mit einem langweiligen Job das Geld verdienen, um uns ein Gerät zu leisten, das nicht mehr als eine Fingerbewegung von uns verlangt? Wo ist die Freude, wenn man den Abzug durch das Entwicklerbad zieht und langsam die schwarzen Konturen auf dem weißen Fotopapier sichtbar werden? Die Digitalisierung hat viele Vorteile, ganz klar, aber sie hat uns vor allem Schnappschüsse beschert, gute Fotos und damit gute Hobbyfotografen findet man heute selten.

Und welche Blume möchtest du gießen? Möchtest du ein neues Kochrezept erfinden oder lieber mit dem Malen anfangen? Wann hast du das letzte Mal mit der Familie gesungen, wie das vor der Erfindung des Radios jeder tat?

Gieße deine Pflanze, du musst sie nicht Kunst nennen. Manche machen einfach nur ihr „Ding“.

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Regel Nr. 1 oder Risiko?

Regel Nr.1 – Finde die Regel und alles wird gut!

Und so geht‘s: Deine Freundin kommt tierisch zu spät.

Regel Nr. 1: Komme nie wieder pünktlich.

Ich style mich zur Mündlichen und verhaue die Prüfung.

Regel Nr. 1: Style dich nie zu einer Prüfung! Das verhindert das Durchfallen nicht, dafür kannst du die Kleider hinterher ohne Schamgefühle tragen.

Und…

du grüßt den Nachbarn und er grüßt nicht zurück.

Regel Nr. 1: Grüße niemals Nachbarn.

Tia, was soll ich sagen. Es hat nicht geklappt. Unangenehme Situationen lassen sich nicht vermeiden, denn…

was ist das für ein Leben, wenn man nie wieder den Nachbarn grüßt, nie wieder Workshops gibt, nie wieder liebt, nie wieder die beste Freundin sieht? – Ziemlich mies.

Versuch Nr. 2 – Jahre später, mitten in der Nacht, ich kann nicht schlafen. Da ist es doch ein Glück, dass Brené Brown mit ihrem Buch: „Laufen lernt man nur durch Hinfallen“ mir Gesellschaft leistet. Ich muss gestehen, die Regel Nr.1 habe ich nicht gefunden. Und damit nicht genug: sie schreibt vom „gut-genug-sein“ und erklärt ausführlich, warum Perfektionismus uns nicht weiterbringt (die entsprechenden Blogtexte habe ich verlinkt). Aber vor allem schreibt sie, dass ein lebenswertes Leben darin besteht, dass man etwas riskiert.

Aktienhandel ist damit nicht gemeint. Es geht um das Risiko in der Art: Du gestehst deine Liebe und weiß nicht, ob sie erwidert wird. Du zeigst dein Kunstwerk und weißt nicht, ob es gefällt. Dummerweise sind risikobehaftete Dinge die Dinge, die uns am Herzen liegen. Und es sind die Dinge, die richtig wehtun, wenn es daneben geht

Das heißt, wenn ich nie wieder liebe, nie wieder meine Bilder zeige, nie wieder Fremde grüße, dann verzichte ich auf die besonderen Momente im Leben. Ich verzichte auf das, was mich begeistert und glücklich macht. Die Komponenten „mir-wichtig“ und „sehr- verletzlich“ gehören leider zusammen.

Das Regel-Nr.-1-Fieber versucht die Scham zu vermeiden und spült die Lebensfreude gleich mit in den Gulli. Das Leben lässt sich nicht selektiv leben. Es ist ein Ganzes, und unangenehme Teile lassen sich nicht verbannen. Will ich „aus vollem Herzen“ leben, dann bleibt im Falle eines Scheiterns nur der schmerzhafte Weg durch die Krise. Unterstützung ist da angebracht und sogar gewünscht.

Wenn du also mitten in „Das will ich nie wieder erleben!“ steckst, wenn du auf Rache sinnst, wenn du dich in deinen Selbstvorwürfen selbst übertriffst und die Niederträchtigkeit der Welt gerade bewiesen ist, dann (ich weiß, es ist schwer) begegne all dem mit Neugier. Haue den Keil eines Fragezeichens zwischen die Wirklichkeit und deine Überzeugung. Trete innerlich einen Schritt zurück und frage dich:

Schau an, was mache ich aus diesem Erlebnis?

-Ich winde mich wie ein Aal vor Scham. Ich bin so selbstbewusst in die Prüfung gegangen. Ich weiß, ich war kaum vorbereitet. Ich dachte, das mach ich mit links!

Welche Überzeugung ist gerade in Stücke zersprungen?

-Kleider machen Leute. Ich trete souverän auf, labere ein bisschen und dann habe ich die gute Note in der Tasche.

Und wo ist das Delta, der Unterschied, wie die Welt ist und wie ich sie beurteile?

In diesem Fall lag das Delta zwischen meiner Selbsteinschätzung und meinem Können. Rückwirkend würde ich sagen, mir fehlte der Respekt vor der Aufgabe.

Wir können von Glück reden, wenn die Lehren, die wir aus solchen Erlebnissen ziehen, nicht zu haarstäubend sind. Wenn sie uns näher an die Wirklichkeit und an eine gesunde Selbsteinschätzung bringen. Denn dann macht uns ein solches Erlebnis reifer und bereitet uns auf die nächste risikobehaftete Herausforderung des Lebens vor. Genau hinzuschauen, es lohnt sich!


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Bin ich gut genug?

Eine Frage, auf die die meisten Menschen wohl kein freudiges „Ja“ haben. Schließlich denkt es in uns: Ich sollte mehr Sport treiben und Diät halten. Ich leiste nicht genug! Ich sollte belastbarer sein und außerdem durchsetzungsfähiger. Und damit nicht genug, ich sollte mehr Work-Live-Balance betreiben und damit fürsorglicher, glücklicher oder zumindest rundum zufrieden sein; vom Geld und glücklichen Sex haben wir hier noch gar nicht gesprochen.

Dieses ständige An-sich-herummäkeln tut dem Selbstwert nicht gut.

Lange Zeit dachte ich, Selbstwert bestünde aus Glaubenssätzen wie: Ich sehe gut aus! Ich fühle mich stark und erfolgreich! Aber nein, die Schamforscherin und Buchautorin* Brené Brown hat in ihren Forschungen etwas anderes entdeckt. Sie fand heraus, dass Menschen, „die aus vollem Herzen leben“ und damit viel Selbstbewusstsein zeigen, glauben, dass sie „gut genug“ sind. Das ist die Basis. Man muss nicht glauben, dass man Superman ist. Nein, es reicht aus zu glauben, dass man gut genug ist.

Das ist etwas komplett anderes als das, was Perfektionisten tun und denken. Perfektionisten sind Menschen, von denen andere denken, dass die nun wirklich mehr als gut genug sind. Aber wie sieht es in ihnen aus? Ganz anders. Der Grund, warum sie so viel Zeit auf Perfektion verwenden, liegt darin, dass niemand bemerken darf, wie es eigentlich in ihnen aussieht. Aber wenn man genau hinhört oder eine Perfektionistin persönlich kennt, dann scheinen die nagenden Selbstzweifel durch den schillernden Perfektionisten-Panzer.

Brené Brown zieht eine erstaunliche Verbindung zwischen „besonderen Leistungen“ und dem Gefühl „gut genug zu sein“. Diese ist nicht so offensichtlich und wird aber deutlich, wenn man sich bewusst macht: Niemand weiß, dass er etwas Besonderes leisten kann, bevor er es nicht getan und anderen Menschen vorgestellt hat. Dieser Schritt in die Öffentlichkeit (auch wenn es nur eine Person ist) braucht Mut, schließlich riskiert man kritisiert oder gar verlacht zu werden. Und diesen Mut finden wir, wenn wir glauben, gut genug zu sein. „Gut genug“ ist das Sprungbrett, das uns in die Luft katapultiert, und „gut genug“ ist das Sicherheitsnetz, das uns wieder auffängt, wenn es mal schiefläuft.

Und was, wenn man daran nicht glaubt? – Kein Grund sich zu verurteilen!

Die gute Nachricht ist, man kann es üben, zum Beispiel so:

Mach dir deine Selbstabwertungen bewusst. Oft ist man so gewohnt, sich selbst zu beschimpfen, dass es einem gar nicht mehr auffällt. Ein Blick in den Spiegel am Morgen und der Gedanke: „Oh, du siehst ganze schön alt aus!“ schießt einem in den Kopf. Aber, STOP! Nochmal zurück:  „Hey, tut mir leid! Du siehst gut genug aus!“ Ein Blick auf die to-do-Liste am Abend: „Wieder nichts geschafft!“ STOP! „Das, was ich geschafft habe, war gut genug!“ Ein Telefonat mit der besten Freundin: „Mensch, ich hätte echt mitfühlender sein sollen!“ STOP! „Das war das Beste, was ich zu geben in der Lage war! Es war gut genug!“

Nun bist du dran, mache dir drei Urteile bewusst, die du gegenüber dir selbst hast, und ersetze sie mit „Ich bin gut genug!“ Besonders wirkungsvoll ist das, wenn man es laut zu seinem Spiegelbild sagt: „Du bist gut genug!“

Wie fühlt sich dieser neue Kontakt mit dir selbst an?

*Buch: „Verletzlichkeit macht stark“ von Brené Brown

Veränderung leicht gemacht


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Flow – das Geheimnis des Glücks

Das Buch, das mein Leben veränderte (vom Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi)

Gerade mit dem Studium fertig, mit dem vagen Empfinden, dass ich vom Lernen endgültig genug habe, lass ich die Luft raus. Die Motivation ist durch und ich bin froh, das Diplom in der Tasche zu haben. Lernen gehört irgendwie nicht zum Erwachsenenleben. Und das sollte mit Anfang 30 so langsam losgehen.

Da lerne ich Mihaly kennen. Wir duzen uns. Das heißt, ich duze ihn, obwohl er älter ist als mein Vater. Es liegt mehr an seinem Nachnamen. Selbst Aussprachehilfen bringen mir diesen Namen nicht über die Lippen. Aber Mihaly hat mein Leben beeinflusst, mehr als andere Autoren. Da kommt einer daher, erforscht das Glück und sagt, es lässt sich erzeugen. Nee, wirklich! Bei mir ist das Zufall. Klar, ich habe Hobbys, die machen mich glücklich. Es gibt auch ein paar Menschen, mit denen bin ich glücklicher als mit anderen. Aber warum das so ist, weiß ich nicht. Aber wenn man das weiß, weiß man, was man tun muss, um glücklicher zu sein.

Was lässt mich die Zeit vergessen? Tiere beobachten. Wie verändert sich die Zeit? Sie bleibt stehen. Und der Geist? Ist leer. Da ist nur der Vogel, das Eichhorn, die Eidechse. Menschen, die mich dabei sehen, sind mir egal. Nicht dass ich sie gedanklich wegschiebe, sie verschwinden einfach aus meiner Wahrnehmung. Das ist Flow. Wie viele Jahre habe ich in der Stadt gelebt und geglaubt, wie schade, dass mir der Kontakt zur Natur abhanden gekommen ist. Und dann erzähle ich in einem Seminar, dass eines meiner schönsten Flow-Erlebnisse in Kindertage das Tierebeobachten war, und frage mich, warum habe ich damit aufgehört? Hier leben doch auch Tiere. In der Stadt gibt es unglaublich viele Tiere. Und das Schöne ist, dass sie vor Menschen keine Angst haben. Ich stand schon vis-à-vis mit einem Rotkehlchen auf dem Bürgersteig. Es sitzt vor mir auf dem Zaun, ich könnte es anfassen. Es braucht eine ganze Weile, um zu bemerken, dass ich es beobachte. Es dreht das Köpfchen links und schaut mich an, es dreht das Köpfchen nach rechts und schaut mich an. Es denkt, man kann es förmlich sehen: Was will die von mir? Und … fliegt!

Und das Lernen? Mihaly hat mir eindrucksvoll gezeigt, dass das keine Erfahrung ist, auf die ich verzichten will. Nichts befriedigt mich mehr als das, was ich mir selbst beigebracht habe. Ich bin die beste Lehrerin, die ich je hatte. Spiele ich zu lange die gleichen Gitarrenstücke, dann darf’s auch mal wieder eine richtige Herausforderung sein. Richtig schwer, kein Problem! Solange es mich nicht überfordert. Habe ich mich dann zu lange an meiner Leistungsgrenze abgearbeitet, dann ist es Zeit für ein Stück, das mich nicht langweilt, dafür wunderschön und leicht zu lernen ist. Mit dem Wissen um die Flowgrenzen nehme ich mir das Recht heraus, den Schwierigkeitsgrad zu drosseln oder anzuziehen. Ich spiele so lange damit, bis es passt. Das kommt in Sportgruppen nicht immer gut an. Gruppendruck und Flow sind nur schwer zu vereinbaren.

Im Sozialen kann man auch Flow erfahren. Was ist schöner als ein inspirierendes Gespräch? Aber kaum wird man unsicher, funken einem die Gedanken dazwischen. Bin ich interessant genug? Bin ich zu kopflastig, mag sie mich überhaupt? Und schon ist mein Organismus überfordert und der Flow hat keine Chance.

Und was macht man, wenn das Gespräch langweilt? Nachfragen hilft: Was begeistert dich? Warum ist dir das so wichtig? Es ist nicht leicht, die Leute aus ihrem Trott zu holen, dafür viel spannender als die Meinung, die sie schon 100x erzählt haben.

Und was für Flow-Erfahrungen kennst du? Was lässt dich die Zeit vergessen? Was fordert, aber überfordert dich nicht? Das, was Flow erzeugt, macht man gerne und oft macht man es gut. Die Suche und das Spielen mit den beiden Grenzen verändert das Leben.

Viel Flow!