schreibend denken und fühlend verstehen wollen


Hinterlasse einen Kommentar

Mein Filmprojekt: Empathie – Spüren, was wichtig ist

Erstveröffentlichung in der GFK-Zeitschrift „Empathischen Zeit“ 04/2021 „Unter Giraffen“

Was das Empathie-Geben bewirkt, hat mich von Anfang an an der GFK fasziniert.  Ich wollte das auch können! Also habe ich versucht, die richtigen Gefühle und Bedürfnisse zu benennen. Aber die Erkenntnis, dass Empathie-Geben mehr ist als Worte, hat ein bisschen länger gebraucht.

Heute als GFK-Trainerin finde ich es immer noch schade, dass es so lange dauert, die empathische Haltung zu lernen. Also frage ich mich immer wieder: Wie kann ich Empathie am besten vermitteln?

Am liebsten würde ich ein GFK-Coaching (genannt Anliegenarbeit) filmen und diese dann zu Übungszwecken verwenden. Das Übungssetting sollte so aussehen: Die lernende Person schaut sich den Film an und stoppt, wenn sie meint, etwas Wichtiges gehört zu haben. Dann hat sie Zeit, nach Gefühlen und Bedürfnissen zu suchen. Eigentlich eine gute Idee, aber finde mal jemand, der den Streit mit der Ehefrau vor der Kamera erzählt!

Ich suche also nach Alternativen und komme auf Spielfilme. Aber beim Anschauen stelle ich fest, dass Schauspieler nicht authentisch von sich erzählen. Mir wird klar, dass ein Filmdialog der Story dient, nicht dem Selbstausdruck. Wenn du dir das nicht vorstellen kannst, dann versuche einmal einer Filmfigur Empathie zu geben.

Als nächstes suche ich persönliche Geschichten auf YouTube und finde mehrere wie diese. „Wie ich meinen Mann und meine Kinder bei einem Autounfall verlor“. Das müsste doch funktionieren. Tut es aber nicht. Die Menschen erzählen, und ich kann sie nicht spüren. Ich bin richtig schockiert, wie wenig sie mit sich selbst verbunden sind. Ich stelle mir Fragen über die Motivation einer solchen Selbstoffenbarung. Heute kann ich mir vorstellen, dass es etwas mit der Kamera zu tun hat. Aber für diese Idee muss ich mich erst einmal selbst aufnehmen. Dazu brauche ich ein Thema.

Eines Abends komme ich aufgebracht von einer Teambesprechung. Das ist die Gelegenheit, mein Anliegen aufzunehmen. Während ich die Handykamera auf das Stativ setze, lässt das Gefühl nach. Die Aufnahme läuft.

-Ähhh… Was soll ich sagen? Meine Arbeitsgruppe ist nicht gut gelaufen…

Ich suche nach Worten, ich stocke. Sonst erzähle ich flüssiger von meinen Themen. Aber der Gedanke, was potentielle Zuschauer oder noch schlimmer Teilnehmer von mir halten könnten, lässt mich nicht los. Ich starre auf die Kamera meines Handys. Zum Glück summt sie nicht. Ich zwinge mich trotzdem zu reden, aber es bleibt unangenehm. Mein Mut, andere darum zu bitten, schwindet gänzlich.

Ein paar Wochen später habe ich eine neue Idee. Wenn es nicht live geht, warum nicht aus der Erinnerung? Ich könnte meine geschätzten GFK-Kolleg:innen interviewen? Ich wollte schon immer wissen, was in deren Kopf oder Gefühl vor sich geht, wenn sie empathisch zuhören.

Die Aussicht motiviert mich. Wahllos notiere ich alle Fragen, die mich interessieren. Wie machst du das? Wie findest du die richtigen Bedürfnisse? Wie schätzt du dich selbst ein, findest du, dass du Empathie-Geben kannst? Diese Frage steht unter anderem deshalb auf meiner Liste, weil mir langsam dämmert, dass meine liebsten Empathie-Geber:innen vielleicht gar nicht so überzeugt von sich sind, wie ich von ihnen.

Aber bevor ich sie einlade, will ich das Ganze im Selbstversuch noch einmal testen. Ich setze mich wieder vor die Kamera.

Die erste Frage: Kann ich Empathie?

Ich fange an zu reden. Mittlerweile bin ich routinierter. Aber die Frage schlägt mir auf die Stimmung. Das Urteil „Du kannst es immer noch nicht!“ ist wieder da. Ich merke schnell, das bringt nichts. Mir nicht und anderen auch nicht. Ich brauche Fragen, die mich und später meine Interviewpartner mit ihrem Selbstwert verbinden. Ich will doch etwas über ihre Kompetenz hören. Es kristallisieren sich zwei Fragen heraus. Erzähle mir eine geglückte Empathie-Erfahrung und was hast du gemacht?

Es ist der Tag der ersten Filmaufnahme. Meine erste Interviewpartnerin macht es sich auf meinem roten Sofa bequem. Ich schätze sie sehr und bin froh, dass sie sich als mein Versuchskaninchen zur Verfügung stellt. Aber vorher muss ich mich noch um die Technik kümmern. Hat das Licht die richtige Farbe? Sitzt das Mikro? Behindert das Kabel ihre Hände? Ach, und wo ist der Zettel mit meinen Fragen? Egal, zum Glück habe ich sie grob im Kopf.

Ich nehme ihr gegenüber Platz. Mein Blick schweift umgehend zum Handybildschirm. Ich muss mich richtig auf sie konzentrieren. Worum geht es? Ach ja, Empathie. Ich will doch einen vertrauensvollen Rahmen schaffen. Aber mein Kopf denkt nur an Technik, und mein Innenleben ist wie weggepustet.

Irgendwie schaffe ich es. Film läuft, Ton an, Test, Test.

-Herzlich willkommen, ich freue mich sehr, dass du da bist…

Und wir finden trotz meiner Aufregung in das Thema. Sie erzählt ihr erstes Beispiel. Ich stelle Fragen zu den Hintergründen. Bereitwillig antwortet sie. An irgendeinem Punkt bin ich tief berührt. Ich habe Tränen in den Augen. Ich fühle mich geehrt, dass sie mir das erzählt.

Hinterher bin ich glücklich. Ich darf noch mehr solcher Interviews führen. Ist das nicht großartig!

Meine Begeisterung hält an und es folgen 14 Interviews. Dann beginnt die eigentliche Arbeit. Neun Monate sitze ich an Filmschnitt und Konzeption. Wer hätte gedacht, dass das so viel Arbeit ist? Aber ich will, dass mehr Menschen das sehen können.

Und heute darf ich sagen, die Dokumentation „Empathie – Spüren, was wichtig ist“ ist fertig:

-Proudly presented by Regine Landwehr

Trailer 1 „Empathie im Alltag“

Trailer 2 „Empathie im Beruf“

Neugierig geworden?

Schau selbst!

Werbung


Hinterlasse einen Kommentar

Wut oder das Spiel mit dem Tiger

Die Lippen aufeinandergepresst, eine steile Falte zwischen den Brauen, fixiere ich dich.  Tunnelblick, ich sehe nichts anderes. Alles rot! ROT nicht rosa! Ein gezielter Schlag auf die Kinnlade wäre jetzt die richtige Antwort, aber ich bin ja GFK-Trainerin. „Komm du mir noch einmal!“

Marshall Rosenberg bezeichnet die Wut als Sekundärgefühl. Sie beruhe auf Gedanken und dahinter lägen andere Gefühle. Das mag stimmen, doch man stelle sich folgende Szene vor. Dein Freund steht aufgebracht vor dir und platzt förmlich vor Wut, und du erzählst ihm: „Bist du traurig, Schatz? Du weißt, Wut ist ein Sekundärgefühl.“ Mal ehrlich, selbst wenn das stimmt, zur Gewaltfreiheit des folgenden Konflikts trägt diese Aussage nicht bei. Echte Wut ist sofort da und man sollte sie sehr ernst nehmen. Es gibt auch eine Sekundärvariante, aber die meine ich gerade nicht. Ich meine die glasklare Primärwut. Es könnte eine gute Idee sein, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Die Autorin Vivian Dittmar stellt in „Gebrauchsanweisung für Gefühle“ die These auf, dass nicht nur die Wut, sondern alle Gefühle auf gedanklichen Bewertungen beruhen. Gefühle sind die emotionale Bewertung der Situation. Die Wut sagt: „Das ist falsch! So nicht!“ Wutenergie sei Handlungsenergie, so genutzt, kann sie konstruktiv sein. Regt man sich permanent auf, verkehrt man die Kraft der Wut in ihr Gegenteil. Sie wird zum Gift, das dauerhaft den Körper und das soziale Umfeld flutet. Geteilte Wut ist doppelte Wut, ganz anders als das Leid, das sich beim Teilen halbiert. Im Zorn, in der Primärwut macht man nicht viel Worte. Wie bei der Mutter, die vor mir an der Kasse steht und ihrem Sohn am Handy eine klare Ansage macht: „Sieh zu, dass du deinen Arsch sofort nach Hause bewegst!“ Wut, Handlung, fertig! Hier zeigt sie ihre Wirksamkeit, wenn andere etwas tun oder nicht tun sollen.

„Sich aufregen“ könnte da schon besser zum Wort „Sekundärgefühl“ passen. „Sich aufregen“ ist auch eine Art Wutenergie. Die einzige Handlung ist die Mundbewegung, und die Person, die sie trifft, ist nicht die, die was tun könnte oder tun sollte. Wer sich aufregt, will sich in erster Linie aufregen, nichts ändern. Diese Energie kann süchtig machen. Man fühlt sich so herrlich rechtschaffen, das Blut pocht in den Adern und die anderen springen auf den Zug auf und regen sich ebenfalls auf. Gerne übersehen wir, dass dauerhafte Wutenergie im eigenen System Gift ist. Eine hinduistische Weisheit zeigt das Dilemma: „Wer den Tiger reitet, sollte nicht absteigen.“ Dann frisst er nicht mehr die anderen, sondern einen selbst. Das heißt, sitzt man auf dem Tiger und regt sich auf, dann kann man nicht aufhören. Doch Absteigen ist durchaus eine konstruktiv Lösung, auch wenn sie im ersten Moment unangenehm ist.

Kurt, ein Tischlermeister und Teilnehmer eines meiner GFK-Workshops, steht auf dem Tanzparkett*. Auf die Frage „Was für Urteile hast du?“ erzählt er mir ausführlich, was an seinem Kollegen falsch ist. Er reitet den Tiger gut, er weiß sich aufzuregen. Also bitte ich ihn abzusteigen und frage: „und… was für Urteile hast du gegen dich selbst?“ Er überlegt, lange, aber dann fallen ihm einzelne Sätze ein. Man merkt, dass das ungewohnt ist. Ich hätte ihn informieren sollen! Ich habe ihn hängen lassen! Im Nachgespräch erwähnt er genau diesen Moment: „Plötzlich konnte ich Empathie für ihn empfinden. Ich sah meinen Anteil und bekam eine Idee, wie es ihm ging.“ Der Prozess mit der Wut kann auch andersherum verlaufen. Die Teilnehmerin Angela zerfleischt sich in Selbstvorwürfen und kommt gar nicht auf die Idee vom Rachen ihres Tigers einen Schritt zurückzutreten. Also hilft nur eins, aufsteigen. Auch sie ist es nicht gewohnt, Urteile über andere zu formulieren. Auch sie braucht lange, bis von der Aussage „Was bin ich für eine schlechte Mutter!“ zu „Was für ein ungehobeltes Verhalten!“ kommt. Aber dann ist die Wut da und mit ihr die Klarheit: „So Freundchen, du kommst sofort her und verabschiedest dich anständig von deiner Mutter!“

Was passiert also, wenn wir den Tiger reiten lernen? Einerseits stehen wir zu unserem Anteil, andererseits gestehen wir uns ein, dass wir nicht für alles verantwortlich sind. Und das gelingt uns in dem Moment, in dem wir ohne Urteil die eigenen Urteile annehmen. Solange wir anderen die Schuld geben, solange sind wir das Opfer, selbst wenn der Zeigefinger auf uns selbst zeigt. Der Shift kommt, wenn wir (wieder) für unser Tun die Verantwortung übernehmen. Und der GFK-Prozess bietet einen Weg, wie man an diesen Punkt kommen kann.

Jeder und jede von uns, braucht eine gute Beziehung zu ihrem Tiger, es nützt nichts, ihn als Sekundär-Tiger zu bezeichnen. Wir müssen ihn reiten lernen und dazu gehört das Absteigen. Und damit beides gelingen kann, muss eines klar sein, dass du der Boss bist! Du bist das Handlungszentrum! Du entscheidest, mit welchen Mitteln du in den Ring steigst. Und, du entscheidest, wo deine Grenzen sind!

Kurz, klar und jetzt.

*Das Tanzparkett sind Bodenanker, die durch die 4+1 Schritte der GFK führen (Wolfsshow, Beobachtung, Fühlen, Bedürfnisse, Bitte).


Hinterlasse einen Kommentar

Kopfkino, mal ganz wissenschaftlich

„Ich soll sagen, was ich wirklich über meinen Chef denke? Muss das sein?“

Die Teilnehmerin steht auf der Karte „Wolfsshow“ und windet sich.

„Ja!“

Ich bin ziemlich überzeugt, dass die Gewaltfreie Kommunikation erst ihre Wirkung entfaltet, wenn wir unsere Urteile kennen.

Aber nochmal von vorne, vielleicht kennst du, liebe LeserIn, die Wolfsshow nicht.

Die Wolfsshow ist alles, was in deinem Kopf passiert, nachdem dir die Hutschnur hochgegangen ist. Es passiert ganz von alleine. Das Ausdrücken müsste demnach ganz einfach sein. Aber ich habe schon viele Teilnehmerinnen kennengelernt, die mit dem „laut-ihre-Urteile-aussprechen“ ein echtes Problem hatten.

Vielleicht liegt es an der guten Erziehung, vielleicht liegt es am Namen. Eine Teilnehmerin meinte einmal:

„Muss das Wolfsshow heißen? Ich habe doch keinen Wild-Live-Workshop gebucht. So etwas wie „neurolinguistische Programmierung“ fände ich gut. Das klingt wissenschaftlich, wichtig und neutral.“

Da musste ich passen. Ich hatte kein wissenschaftlich korrektes, wichtig klingendes und dabei komplett neutrales Wort für Wolfsshow. Der Wolf ist nicht neutral, aber er nimmt sich über die Maßen wichtig, und politisch korrekt ist er schon gar nicht. Alle Handpuppenhasser und Raubtiersympathisantinnen der GFK-Szene mussten daher mit den zwei Symbolen Wolf und Giraffe klarkommen.

Doch hier ist die Lösung für tierische Kontakthemmung. Wir nennen es jetzt ganz wissenschaftlich – SEF.

SEF stammt aus der sozialen Forschung von Brené Brown und steht für „schlechte, erste Fassung“. Das ist genau das, was wir mit der Wolfsshow meinen. Mach dir bewusst, was in deinem Kopf vorgeht. Das, was da passiert, bestimmt deine Verletzungen, deine Wut und dein Schamgefühl. Das, was da passiert, hat nur rudimentär etwas mit der Wirklichkeit (Beobachtung) zu tun, aber sehr viel mit dir (das heißt mit deinen Gefühlen und Bedürfnissen). Unsere Urteile kennenzulernen, ist keine freudige Erfahrung. Wer gibt schon offen zu, dass er das Verhalten des Kindes „das Allerletzte“ findet, und dass man schon immer gewusst hat, dass der Kollege XY „eine faule Sau“ ist. Klingt nicht empathisch, klingt nicht gewaltfrei und ist nicht politisch korrekt. (Ich möchte hier auf gar keinen Fall empfehlen, offen seine Urteile auszusprechen. Es geht um das Bewusstmachen!) Wir machen uns etwas vor, wenn wir sie leugnen, um vor uns selbst besser dazustehen. In der BeWERTung finden wir WERTvolles. Dazu muss man hinschauen, und das am besten mit einem spielerischen Augenzwinkern. Es ist ja nicht die Wirklichkeit!

Brené Brown, eine amerikanische Sozialforscherin, hat Menschen befragte, die schwer gescheitert sind und es schafften, wieder aufzustehen und weiterzumachten. Meist war das Scheitern mit heftigen Selbstverurteilungen (Wolfsshow) verbunden. Und in ihrem Buch „Laufen lernt man nur durch hinfallen“ beschreibt sie die Bedeutung der SEF und weitere Punkte, die für das Aufstehen nach dem Sturz in den Schlamm der Schamgefühle wichtig sind. Die Liste klingt wie GFK!

Vergleich SEF und WS

Spannend ist, dass Brené Brown besonders auf die Diskrepanz zwischen SEF und Wirklichkeit hinweist. Ein Delta, auf das man bei den Schritten der GFK ganz automatisch stößt: Beispiel gefällig?

Startkarte: Die Wolfsshow (SEF): Mach dir bewusst, was du denkst. Das hört sich vielleicht so an: „Sie hält mich wohl für eine Idiotin, mit der man alles machen kann!“ Gehe einen Schritt weiter und formuliere die Beobachtung = das, was deine Freundin wirklich gesagt hat. Sie: „Ich möchte heute Abend auf ein Konzert!“

Kaum jemand, der nicht bei diesem Schritt erstaunt feststellt, dass sie kein Wort von „Idiotin“ und „ich mag dich nicht“ gesagt hat.

Urteile und Wut verschleiern unseren Blick. Sie lassen uns Dinge sagen und hören, die oft an der Wirklichkeit vorbeigehen. Das Rumwolfen für uns alleine hilft uns, den Kern zu finden, um den es geht. Doch damit machen wir uns verletzlich. Es ist so viel leichter, selbstgerecht seine Urteile rauszuhauen. Aber Verletzlichkeit ist die Zutat, die einer Beziehung Tiefe gibt. Auf Zuverlässigkeit kann man ab und zu verzichten.

 


Ein Kommentar

„Ein Leben in der Fülle“ – möglich oder nur dummes Geschwätz?

Wir sitzen auf Meditationskissen im Kreis und brain-stormen. Wie soll unser Baby heißen? Es wird ein 5-Tage Intensivseminar in Gewaltfreier Kommunikation. „Leben im Flow“? – nicht unser Thema; „Achtsames Sprechen“ – zu speziell; „Ein Leben in Fülle“? – Das passt. Meine Kolleginnen sind begeistert. Ich nicht: Fülle, was soll das? So wie im Supermarkt, wenn man sich fragt, warum man eigentlich zwei auf vier Meter Regalwand für 50 Variationen von Kartoffelchips braucht? „In die Fülle kommen“, ist das nicht so ein esoterisches Gerede von „es ist genug für alle da“? Schau dich doch um, es ist nicht genug! Im letzten Jahr hat jede von uns 180 Euro verdient, nennt man das Fülle? Ich lasse mich um des lieben Friedens willen auf den Namen ein.

Ende September, das Seminar beginnt, und ich bin nervös. Doch dazu gibt es keinen Grund. Die Teilnehmer sind begeistert, die Gruppe wächst zusammen, die Themen werden persönlicher. Mehr als einmal gelingt es uns, viele verschiedene scheinbar widersprüchliche Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen. Auch mit dem Geld ist es dieses Jahr besser. Wir haben mehr Anmeldungen. Wir wollen etwas Neues ausprobieren. Fülle nicht nur für die Teilnehmer, Fülle auch für uns Trainerinnen. Dazu gehört eine ungewöhnliche Aktion. Inken Gritto, eine Kollegin, bittet die Workshopteilnehmer um Geld. „Hier ist eine rosa Box, die wird hier bis zum Ende des Seminars stehen. Wer uns bei der Erfüllung unseres Bedürfnisses, uns selbst und unsere Familien zu versorgen, unterstützen will, kann hier Geld hineinlegen. Die Summe soll für euch stimmen, es besteht kein Zwang zu geben. Nur die Bitte, es von Herzen zu tun.“

Ich bin schwer beeindruckt von ihrem Mut. Und ich glaube nicht daran. Mehr als 25 Euro kann ich mir nicht vorstellen. Die haben schließlich alle eine Teilnahmegebühr bezahlt!

Wir finden 1.470 Euro und zahlreiche Liebes- und Dankesbriefe, die die Geldspenden noch schöner machen. Ich kann es kaum glauben.

Das Seminar ist vorbei. Der Herbst hat Hamburg eingeholt und der Termin der Geldverteilung rückt näher. Ich bin mal wieder nervös und im Widerstand. Das Geld soll nach dem Prinzip des „Geldstapels“ (Money-Pile nach Dominic Barter) verteilt werden. D.h. wer Geld braucht, soll Geld bekommen. Klingt revolutionär. Klingt wie „Leben in Fülle“ live. Aber es liegt wieder außerhalb meiner Vorstellung. Im Geiste schimpfe ich vor mich hin: Bedürfnisorientiert?!?  Wer am besten jammert, bekommt am meisten Geld. Was ist mit Wertschätzung für gute Arbeit?

Der Verteilungsprozess

Man legt das Geld (am besten in bar) in die Mitte und alle, die davon etwas abhaben wollen, sitzen darum herum. (Schon einmal mehrere 1000 Euro auf einem Haufen gesehen?)

In der ersten Runde muss jeder einen Zug machen. D.h. entweder sich selbst Geld geben und erklären, welches Bedürfnis er sich damit erfüllt oder anderen Geld geben und wiederum erklären, welches Bedürfnis er sich damit erfüllt. Nichts ist festgeschrieben, Geld kann gegeben und genommen werden. Danach werden nur noch die aktiv, die mit der bisherigen Geldverteilung (noch) nicht zufrieden sind.

Das Ganze geht so lange, bis keiner mehr einen Änderungsimpuls hat.

Wir sitzen um das Bargeld, und Inken zerstreut meine Zweifel. Jedes Bedürfnis ist willkommen, natürlich auch Wertschätzung, aber auch Unterstützung, Empathie, egal. Es geht los. Unsere Kollegin für die Organisation nimmt sich das Geld, gibt sich einen kleinen Teil und verteilt den Rest zu gleichen Teilen an uns Trainerinnen. Puh, das fühlt sich erst einmal sicher an. Keine wird benachteiligt. Außer vielleicht sie selbst? Doch dabei bleibt es nicht. Schon die nächste Trainerin gibt ihr deutlich mehr und verteilt um. Jetzt ist es nicht mehr gleich.

Ich habe diesen Prozess schon einmal im GFK-Verein mitgemacht. Und ich war erstaunt, wie viel Freude mir das Geben bereitet. „Schatz, komm her, ich weiß, du brauchst Geld! Hier hast du 300 Euro.“ Ich selbst knapse seit Jahren mit dem Geld und damals konnte ich schenken. Ein grandioses Gefühl!

Aber in der ersten Runde der Geldverteilung sitze ich vor meinem gerechten Anteil und die Geberfreude will sich nicht einstellen. Misstrauisch beäuge ich jede Bewegungen. Greift jemand nach meinem Stapel, möchte ich protestieren. Doch mit der Zeit wird er größer. Irgendwann ist er so groß, dass ich geben könnte. Es fühlt sich aber noch zu grenzig an. Noch ein Zug und vor mir liegt viel Geld. Ich komme in Geberlaune. Ich greife mir ein paar Scheine, da wird mir bewusst, dass ich nicht so viel habe, wie ich geben möchte. Ok, dann kleine Brötchen backen. Mann, ist das aufregend! Welche Bedürfnisse erfülle ich mir damit? Wertschätzung ganz klar. Zeigen, dass sie mir wichtig ist, genau. Irgendwann kommt der Prozess zur Ruhe. Ok, das ist es. Jede hat einen komplett anderen Betrag vor sich liegen und alle sind zufrieden. Ich brauche wohl nicht erwähnen, dass ich das kaum glauben kann.

Ich habe viel Geld bekommen. Und es bedeutet mir viel. Es ist die materialisierte Wertschätzung und Unterstützung von Kollegen und Teilnehmern. Und ich habe an meiner eigenen Haut erfahren, was es bedeutet, nicht geben zu können, weil es für einen selbst nicht reicht. Und genau wegen dieser Erfahrung bin ich nicht nur den Teilnehmern dankbar, die mir mit ihrem Geld ein Gefühl von Reichtum ermöglicht haben, ich bin auch denen dankbar, die nichts gegeben haben und damit ihre eigenen Grenzen gewahrt haben.

Das war es von mir.

Und du? Kommst du in den Genuss, mit Freude zu geben? Hast du, was du brauchst? Sagst du, wenn du was brauchst? Beides wichtig, beides wertvoll!

Ein Leben in Fülle heißt nicht, nichts zu brauchen. Ein Leben in Fülle heißt, das zu teilen, was wir gemeinsam haben. Das Teilen macht uns reich!


Hinterlasse einen Kommentar

Der Traumjob und das liebe Geld

Kennst du den Film „Die Comedian Harmonists“? Die Szene, in der die frischgebackenen Sänger einen sehr geschäftigen Hintergrund simulieren, um neuen Kunden den Eindruck zu vermitteln, sie seien gefragt? Ich habe lange Zeit dasselbe versucht. Und hier möchte ich keine potentiellen Kunden durch einen ehrlichen Bericht verschrecken. Deshalb habe ich einen neuen Namen gewählt.

Ich heiße Sonja Frustenberg*. Vor sieben Jahren habe ich die GFK** kennengelernt und war schnell begeistert. Während meines ersten Jahrestrainings fand ich Gefallen an der Idee, GFK-Trainerin zu werden. Ich bewunderte meine Trainer und glaubte an mein Talent. Für die Selbstständigkeit entschied ich mich, weil ich keine anderen Alternativen mehr sah. In meinem damaligen Job zählten menschliche Werte nicht. Mitarbeiter wurden verraten und ausgenutzt, Abteilungsleiter hängengelassen, und als kaufmännisch galt allein der Vorteil der Firma. Hatte das den finanziellen Ruin eines Geschäftspartners zu Folge, wurde mit den Achseln gezuckt. Kurz gesagt, Menschlichkeit gab es nicht. Dagegen schien die Aussicht, als GFK-Trainerin meine Werte in die Welt zu tragen, als der berufliche Himmel auf Erden.

Gesagt, getan. Ich startete mit Homepage und Visitenkarten. Der erste Workshop im Freundeskreis war ein Erfolg, ich war geflasht. Nur die Sportkollegen schauten etwas skeptisch, als ich erklärte, wovon ich in Zukunft leben wollte. Die Tatsache, dass ich keine geschäftlichen Verbindungen und auch keine Berufserfahrung hatte, versuchte ich durch Motivation und Einsatz auszugleichen.

Der Gründungszuschuss sollte mir den Start erleichtern. Ich rechnete die Gehälter mir bekannter Trainer hoch und befand, dass das reichen würde. Dem Umstand, dass zu der Zeit die Teilnehmerzahlen meines Trainers stark rückläufig waren, schenkte ich keine Aufmerksamkeit. Für den Zuschuss musste ich dem Arbeitsamt belegen, dass man von GFK leben konnte. Dazu setzte ich einen Wochenend-Workshop pro Monat an. Das erschien mir zwar unrealistisch, da ich niemand kannte, der so häufig Einführungen gab, aber es war nötig, um auch nur in den unteren Gehaltsbereich zu kommen. Meine Sorgen, dass es in meiner Stadt bereits sechs aktive GFK-Trainer gäbe (heute sind es mindestens 15), zerstreute der Gutachter des Gründungszuschusses. Er meinte, viele Trainer würde bedeuten, dass es da etwas zu holen gäbe. „Wenn es keine Kunden gäbe, gäbe es auch keine Trainer!“ Weit gefehlt, er kannte die GFK-Szene nicht.

Den monatlichen Workshop-Turnus senkte ich sehr bald auf alle drei Monate. Kurze Zeit später waren es nur noch zwei pro Jahr und seit zwei Jahren schreibe ich GFK-Workshops nur aus, damit etwas auf der Homepage steht. Ich hatte in sechs Jahren Selbstständigkeit nie mehr als 3 Teilnehmer. Werbung machte ich über meine Homepage, Veranstaltungskalender, Trainer-Portale, Laternenpfahlwerbung und Flyern in Cafés und Bioläden. Ich schaltete bezahlte Werbung im Internet und in Esoterik-Blättchen. Doch jede bezahlte Werbung setze ich bald wieder ab, weil sie keine Kunden brachte. Versuche mal die GFK in einen Werbeslogan zu verpacken, ohne die GFK-Werte zu verraten!

Meine Trainererfahrung sammelte ich in erster Linie durch themenverwandte Workshops. Seit einiger Zeit fragen mich Teilnehmer, wie sie in meine Fußstapfen treten können. Das bringt mich in Gewissenskonflikte. Gerne würde ich sage, besuche viele Kurse (bei mir). Aber ich weiß, dass Kurse besuchen nicht ausreicht.

Die große Krise kam nach vier Jahren. Meine persönliche Umsatzstatistik verriet mir, dass sich nichts bewegte. Es gab noch nicht einmal eine leichte Tendenz nach oben. Und Umsatz konnte man die paar Euro auch nicht nennen, Taschengeld wäre wohl passender. In meiner Verzweiflung suchte ich Unterstützung in der GFK-Szene. Ich fand Kollegen, die bereitwillig Empathie gaben. Doch manch einer konnte es sich nicht verkneifen zu behaupten, wenn man etwas liebe, dann würde das in die Welt strahlen und die Teilnehmer anziehen. Das kränkte mich zu tiefst. Wollten die mir erzählen, dass ich meine Arbeit nicht genug lieben würde? Hatte ich eine Blockade, wie manche vermuteten? Ich entschied mich für eine systemische Aufstellung, um den Fehler im System zu finden. Dazu telefonierte ich mit dem Leiter eines bekannten Ausbildungsinstituts, das bis zu 90 Coaches und Berater im Jahr ausbildet. Der Mann war also im Geschäft. Ich erklärte ihm mein Problem. Daraufhin stellte er mir zwei Fragen.

  1. Wie viele Trainer kennst du, die davon leben können?

Da musste ich erstmal nachdenken und kam auf – zwei.

  1. Sind diese zwei Trainer dein Jahrgang (was den Berufsstart angeht) oder älter.

Sie waren schon über 10 Jahre im Geschäft. Ganz klar, nur „ältere“ Trainer bestritten ihren Lebensunterhalt davon. Die Erkenntnis traf mich mit Wucht.

Er meinte nur: „Du brauchst keine Aufstellung. Von Tagesworkshops kann man nicht leben. Der Werbeaufwand steht in keinem Verhältnis zum Verdienst. Wir machen das ausschließlich aus Marketinggründen. Unser Geld verdienen wir mit der Ausbildung. Das sind mindestens 20 Ausbildungstage pro Jahr und Person.“

Es hat lange gedauert, bis ich mich von meinem Wunschtraum habe trennen können. Es macht mich immer noch traurig, wenn ich darüber schreibe. Doch es erleichtert mich, dass ich nicht mehr erwarte, von der GFK oder einem anderen meiner Herzensprojekte leben zu wollen.

Und um auf die Behauptung des Gutachters zurückzukommen, dass vorhandene Konkurrenz auf Einnahmequellen verweisen: er hat schlicht übersehen, dass Geld nicht die einzige Motivation ist, einen Beruf zu ergreifen. Schauspieler, Sänger und Ballerinas. Alle wissen, nur wenigen winkt Ruhm und Geld. Glücklich der, der seinen Lebensunterhalt damit bestreitet. Alle anderen bezahlen in erster Linie ihre Ausbildung. Ob der Wunschtraum den finanziellen Einsatz und die Unsicherheit wert ist, muss jeder selbst entscheiden.

Doch einen Tipp habe ich: Wenn du GFK-Trainer werden möchtest, empfehle ich dir vor allem eines, eine zuverlässige zweite Einnahmequelle.

 

*Ich veröffentliche hier den Artikel meiner lieben Kollegin Sonja. Sie möchte gerne eine Leserschaft erreichen, und es ist noch unsicher, ob der Artikel in der Zeitschrift „Empathische Zeit“ veröffentlich wird. Was sie schreibt, kann ich aus eigener Erfahrung gut nachvollziehen und glaube, dass die Berufsbezeichnung „Trainer“ genauso gut durch Coach, Systemische Berater, Personal Coach etc. ersetzt werden kann.          Tiefenkontakt

**Gewaltfreie Kommunikation


Ein Kommentar

Vom Müssen zum Wollen und wieder zurück

„Ich sollte wieder Sport machen!“ „Ich müsste mich bewerben!“

Am „müsste“ und „sollte“ kann man erkennen, dass man gedanklich eine Idee aufgegriffen hat, die keinen Anker in den Tiefen unseres Selbst findet. Die Motivation bleibt kreisend im Kopf. Wir wiederholen sie laut und in gedanklichen Selbstgesprächen. Wir können uns richtiggehend damit quälen, aber unser Handeln ändert sich nicht. So schlägt Sollte-Denken auf die Stimmung und macht uns ungnädig mit uns selbst.

Die GFK hat für diese „ich-sollte“-Sätze einen interessanten Umgang gefunden. Zunächst einmal setzt sie am konkreten Verhalten an (nicht am Denken). Das Verhalten ist in solchen Fällen schwer zu erkennen, da es meistens ein „Nicht-Tun“ ist. Ich bewerbe mich nicht. Oder ich mache keinen Sport. Ich mache irgendetwas anderes. Die GFK fragt, was erfülle ich mir damit, dass ich das nicht mache? Das braucht einen klaren Perspektivwechsel, schließlich denke ich die ganze Zeit darüber nach, warum ich es tun sollte, und nicht, was mein guter Grund ist, dass ich es nicht tue.

Beispiel: Was erfülle ich mir, wenn ich mich nicht bewerbe? – Ich konzentriere mich auf das Schreiben. Das gibt mir Sinn im Leben.

Was erfülle ich mir, wenn ich keinen Sport mache: Erholung, Gesundheit und Heilung. Der heftige Husten nach dem Sport lässt mich daran zweifeln, dass Sport derzeit meiner Gesundheit gut tut.

Anwendungshilfe: Wer Ideen bei der Frage: „Was erfülle ich mir damit?“ braucht, findet diese auf meiner GFK-Bedürfnis-Liste (Link klicken und runterscrollen).

Wenn ich weiß, was ich mir mit meinem NICHT-Tun erfülle, dann kann ich mit mir selbst gnädiger sein. Vielleicht ändert sich auch mein Denken und ich bekomme ein positives Bild von mir, als eine, die fürsorglich mit ihrem Körper umgeht. Oder ich sehe mich als eine, der Sinn bei der Arbeit wichtig ist.

Doch Gedanken wie „ich müsste“ und „ich sollte“ denken wir nicht ohne Grund. Auch hier gibt es unerfüllte Bedürfnisse, und auch hier kann ein Blick auf die Bedürfnisliste zu neuen Ideen und Selbstverständnis führen. Doch manchmal braucht es die echte Unzufriedenheit, um sich wirklich damit auseinander zu setzen. Deshalb, wenn du deiner Motivation eine wirkliche Anschubhilfe bieten willst, dann: „Fühl‘ deine Unzufriedenheit! Vermeide sie nicht!“ Der Punkt, an dem Nichts-machen keine Option mehr ist, kommt dann von alleine. Beim Bergsteigen ist das der Punkt, wo es gefährlicher ist zurückzugehen als weiterzuklettern. Vorher mag man sich noch überlegen, ob man diese Strapazen wirklich auf sich nehmen möchte. Doch hat man den Point-of-No-Return überstiegen, dann gibt es diese Alternative nicht mehr. Dann gibt es nur noch einen Weg, nämlich den nach oben. Diese Erkenntnis macht es spürbar leichter. Jegliches Denken über Alternativen ist Zeitverschwendung. Diese Entscheidung kann so wichtig werden, dass sie sich in einem „Ich muss das tun!“ ausdrückt. Man bemerke, es ist kein „müsste“ mehr, sondern ein „muss“. Alternativen sind ausgeschlossen.

So ein MUSS aus dem Innern wirkt mitunter heroisch, ist es aber nicht. Lob für etwas, was man tun musste, hat wenig Bedeutung. Eine Freundin sagte neulich: „Ich bewundere Frauen, die sich den Schmerzen einer Geburt stellen!“ Für schwangere Frauen ist dieser Satz nur von Bedeutung, wenn für sie Kaiserschnitt oder keine Kinderkriegen eine Option ist. Bei einem echten Kinderwunsch ist die Geburt einfach etwas, durch das frau durch muss (genauer gesagt kind). Die Wertschätzung „Ich bewundere deinen Mut mit dem du das letzte Stück ohne Sicherung geklettert bist.“ ist bedeutungslos, wenn es der einzige Weg aus der gefährlichen Situation war.

Zusammenfassend kann man sagen, die Kunst, einen „mutigen“ Lebensweg zu gehen, besteht darin, sich seiner eigenen Unzufriedenheit auszusetzen, bis die Entscheidung aus dem Bauch herauskommt. Wenn ich wirklich verliebt bin, dann muss ich meine Liebe gestehen, dann gibt es keine Alternative. Aber dieses MUSS, dieser Point-of-No-Return, dieser Point-of-No-Drückeberger ist kein Sollte-Gedanke und keine Pflicht, sondern die oft unbewusste Erkenntnis, dass es der einzig richtige Weg ist.


Hinterlasse einen Kommentar

Aggression – Ist unsere Definition Teil des Problems?

In den gängigen Nachschlagewerken (Duden, Wikipedia) wird Aggression als aggressiver Akt gegen jemanden definiert. Wenn man genau hinschaut, dann besteht ein aggressiver Akt aus zwei Komponenten: einem Gefühl wie z.B. Wut und einer konkreten Handlung wie Schlagen oder Truppen an der Landesgrenze stationieren. Diese Verbindung aus Gefühl und Handlung ist meines Erachtens Teil des Problems, welches wir mit eskalierenden Konflikten haben. Wie Marshall Rosenberg sehr fein beobachtet hat, erhöhen Urteile und Bewertungen die Aggressionsbereitschaft der bewerteten Person. Fühlen sich Menschen verurteilt und damit angegriffen, reicht ein Wort und das Pulverfass explodiert. Und dieses eine Wort kann „aggressiv“ sein. Dass die Mehrzahl der Menschheit die Bewertung teilt, ändert nichts am Effekt der Bewertung. Hier ein internationales Beispiel:

Im Kalten Krieg haben die USA gezielt aufgerüstet, in der Absicht ihre Bevölkerung vor der UdSSR zu schützen. Die UdSSR beurteilte das amerikanische Verhalten in der einheimischen Presse als aggressiv und kurbelte die eigne Rüstungsindustrie an, ebenfalls in der Absicht sich und ihre Bevölkerung zu schützen. (Der Beginn der Geschichte ist hier zufällig gewählt. Ich bin sicher, dass beide der Ansicht sind, der andere habe angefangen). Das Verhalten der UdSSR bestätigte in den USA das Bild des Russen als Aggressor und rechtfertigte damit weitere Rüstungsaufträge, was in der UDSSR genau die gleichen Bewertungen (aggressiv) und Handlungen (Waffenproduktion) zur Folge hatte. Man beachte, dass die Bewertung „aggressiv“ nur für das Verhalten des anderen genutzt wird. Das eigene Verhalten gilt als beschützend. Doch tatsächlich lässt sich beschützendes und aggressives Verhalten kaum unterscheiden. Ein bewaffneter Soldat wirkt auf die, die vor ihm stehen, aggressiv und auf die, die hinter ihm stehen, beschützend. Worte wie „Aggression“ und „Aggressor“ drücken damit die Perspektive einer Person aus, die sich bedroht fühlt. Doch diese Perspektive tarnt sich als Tatsache, was man erst bemerkt, wenn man sich in die Lage der anderen Partei versetzt. Das Verhalten anderer zu brandmarken und zu bewerten, ist deshalb so attraktiv und beliebt, weil es von den eigenen Gefühlen ablenkt. Die eigene Angst und Betroffenheit auszudrücken, macht verletzlich. Und das allgemeine Verständnis ist, wenn ich mich verletzlich mache, dann werde ich angegriffen. Nur meine Stärke hält den anderen davon ab, seine Drohungen in die Tat umzusetzen. Doch es ist ein Irrglaube, dass Drohgebärden vor Gewalt schützen. Sie heizen den Konflikt an. Da finde ich es fast schon beruhigend, dass den meisten Menschen so selten eine schlagfertige Antwort einfällt. Sitzt der Gegenangriff, ist die Eskalation kaum noch zu vermeiden.

Die GFK schlägt folgendes vor: Will man sich konstruktiv mit jemandem über sein Verhalten unterhalten, ist es wichtig die Bewertung (aggressiv) von der Tat (Waffenproduktion) zu trennen. Und wenn wir weiterforschen, dann trifft „aggressiv“ die eigentliche Motivation immer noch nicht. Sondern dahinter stehen wahrscheinlich Angst und der Wunsch nach Schutz. Die GFK unterscheidet diese Begriffe deshalb so genau, um zum einen Provokationen zu vermeiden und zum anderen Verbindung zwischen den Konfliktparteien zu schaffen. Beide haben Angst und beide wollen sich schützen.

Die Wirkung von Bewertungen bzw. wertfreien Beschreibungen kann man besonders gut an sich selbst erforschen. Sagt jemand zu uns: „Mensch, was bist denn du so aggressiv!“ dann spüren wir deutlich, dass wir bewertet werden. Sagen wir das zu jemand anderem, dann ist uns das in der Regel nicht gleich bewusst. Zum Glück lassen die meisten Menschen einen sofort wissen, wenn sie sich bewertet fühlen. Sie widersprechen. Um dies als wertvolles Feedback annehmen zu können, hilft es den Automatismus und die Bewertungen überhaupt erst zu erkennen.

Die Erfolge dieser Differenzierung zeigt die GFK sowohl bei internationalen als auch bei persönlichen Streitschlichtungen. Und was würde Marshall Rosenberg zu den Anschlägen in Paris sagen?

Vielleicht: „Ich bin bestürzt und es schmerzt zu sehen, wenn Menschen wie du und ich durch einen Sprengsatz sterben müssen. Ich wünsche mir von tiefsten Herzen, dass wir weltweit die Kraft entwickeln, Respekt für jedes (menschliche) Leben zu empfinden. Und dass wir Wege finden, die Konflikte unserer Erde gewaltfrei zu lösen.“

P.S Mich (Regine) bestürzt es, wie leicht es mir fiel, am Beispiel des Kalten Krieges deutlich zu machen, dass beide Parteien die gleichen Absichten (Selbstschutz) hatten. Auf die Schnelle ist mir das mit dem Islamischen Staat (IS) und Westeuropa nicht gelungen. Ich vermute, dass es an der zeitlichen Distanz liegt. Jedes Feindbild, das wir haben, stellt eine echte Herausforderung an unsere Bereitschaft dar, den Menschen im anders Denkenden zu sehen und zu glauben, dass die „aggressive“ Tat die beste Strategie war, die ihm einfiel, um seine Bedürfnisse zu erfüllen. Hätte er eine andere gesehen, hätte er eine andere gewählt. Also, was versucht uns der IS zu sagen, wenn er Hinrichtungen im Internet veröffentlicht, Weltkulturerbe sprengt und Menschen in Paris in die Luft jagt? Ich könnte mir vorstellen, dass ISler sich von der westlichen Kultur bedroht fühlt. Und dass sie keine anderen Mittel sehen die eigene Kultur zu verteidigen.


2 Kommentare

Empathie – aktiv oder passiv?

Eine meiner ersten und wichtigsten Erkenntnisse zu meinem Wunsch nach Mitgefühl war folgende: Wenn ich will, dass jemand wirklich empathisch mit mir ist, dann muss ich mich zeigen. Tue ich das nicht, bleibt mein Wunsch unerfüllt. Dies erfordert, dass ich aktiv werde. Diese Aktivität steht im Widerspruch zu der Bezeichnung „Empathie bekommen“.

„Empathie bekommen“ suggeriert eine Passivität, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Es ist eher mit Hingabe zu vergleichen. Auch hier tendieren die meisten Menschen dazu, diese Haltung als passiv zu deklarieren, aber schon das Wort sagt das Gegenteil. Ich gebe mich hin. D.h. ich bin aktiv, sonst gibt es keine Hingabe. Mit dem „Empathie bekommen“ ist es das Gleiche. Die Frage: „Möchtest du Empathie bekommen?“ wäre genauer formuliert mit: „Bist du bereit, dich der Empathie hinzugeben?“ Sofort wird spürbar, was es hier braucht. Nämlich eine gehörige Portion Mut, sich zu öffnen und sich mit seinen Schmerzen, Problemen und Urteilen zu zeigen. Das tut man nur, wenn man das Setting als geschützten Raum erlebt und den beteiligten Menschen vertraut. Und beides kann z.B. in einem GFK-Kurs durch die Vereinbarung entstehen, mit dem Herzen und nicht mit dem Kopf zuzuhören.

Es wird ebenfalls durch den Grundsatz der GFK leichter, der da heißt: Man diskutiert nicht über die Berechtigung von Gefühlen! Jeder weiß selbst am besten, was er fühlt und was er braucht. Leider ist das in der GFK-fremden Welt selten so. Da hört man Sätze wie: „Wie, du bist traurig? Du hast doch überhaupt keinen Grund traurig zu sein, also wenn du ärgerlich wärst, das könnte ich verstehen….“ Es herrscht die weit verbreitete Vorstellung, dass nur, wer das gleiche fühlt, einen versteht und ein Freund ist. Oder dass es so etwas wie richtige oder falsche Gefühle gebe. Doch wir Menschen fühlen alle unterschiedlich und zum Glück können wir die Gefühle unserer Mitmenschen unabhängig von unseren eigenen wahrnehmen. Mir kann es sehr gut gehe, und ich kann trotzdem deine Traurigkeit spüren. Deswegen muss es mir nicht schlecht gehen. Ich bin froh und du bist traurig, und ich sitze hier bei dir und spüre deine Traurigkeit. (Klingt einfach, ist es nicht).

Diese Form des Mitfühlens wird leichter, wenn man sich bewusst macht, dass Mitfühlen nicht das Gleiche ist wie Verstehen. Ich brauche nicht zu verstehen, warum du traurig bist, um zu spüren, dass du traurig bist. Um das wahrzunehmen, reicht es, wenn ich meine Gefühle beiseite stelle und mich deinen öffne.

Mitfühlen heißt auch nicht, dass ich alles gutheiße, was du denkst oder tust. Ich fühle, dass du traurig bist, weil dir die Verbindung (zu einem bestimmten Menschen) so wichtig ist, und lasse meine Gedanken, dass ich zwischen euch noch nie Verbindung wahrnehmen konnte, beiseite. Sprich, ich diskutiere mit dir auch nicht, ob dein Bedürfnis nach Verbindung gerechtfertigt ist. Mit dem Herzen zuhören heißt, meine Meinung außen vor lassen.

Es gibt nur eine Person, die sagen kann, was du fühlst und was du brauchst… und das bist du! Und die Kunst für dich besteht darin zu lernen, dich beim „Empathie bekommen“ darin, dir selbst zu trauen und dich nicht zu rechtfertigen. Es reicht zu sagen: „Nein, das passt nicht“ und dann zu deiner Wahrnehmung zurückzukehren. Das ist dein aktiver Teil beim „Empathie bekommen“. Du hörst etwas und überprüfst es mit deinem Gefühl. Wenn es stimmt, nimmst du es an, wenn nicht, dann lässt du es gehen.

Diskussionen um die Berechtigung unserer eigenen Wahrnehmung ermüden unheimlich und führen zu nichts. Und es braucht Übung, diesen weitverbreiteten Impuls zu lassen.

Für echtes Mitgefühl braucht man nicht zwingend die GFK (auch wenn Empathie für mich dadurch viel angenehmer wird). Alles, was es dafür braucht, sind zwei Menschen, die sich als Menschen begegnen. Einer, der sich zeigt, und der andere, der zuhört und bereit ist mitzufühlen, ohne darin zu versinken, Lösungsvorschläge anzubieten oder eigenes beizumischen. Einfach da sein. Das ist alles. Und das ist verdammt viel!


Ein Kommentar

Definition „Empathie bekommen“ bzw. Anliegenarbeit

„Empathie bekommen“ ist in der GFK-Szene ein gängiges Setting, in der eine Person von ihrem Problem spricht und 1-7 Personen ihr von Herzen zuhören. Dabei äußern die „Empathie-Geber“ hin und wieder Gefühle und Bedürfnisse, die sie beim Sprechenden vermuten. Der Sprecher entscheidet, ob diese Angebote für ihn richtig sind.

Aktuelle Forschungen belegen, dass wir Menschen ungefähr mit 30% unserer empathischen Schätzungen richtig liegen. Das heißt für so ein Empathie-Setting, dass 70% der Vorschläge falsch sind. Es ist wichtig zu wissen, dass sie trotzdem beim Klärungsprozess helfen. Beispiel: „Nee, das ist es nicht. Es ist eher….“


Ein Kommentar

Gewaltfreie Missverständnisse – Teil 2

Wer sich mit GFK beschäftigt, weiß, eine Lösung hat nur bestand, wenn sie grundlegend die Bedürfnisse von beiden Parteien berücksichtigt. Doch viele Leute glauben einfach nicht, dass es Mitmenschen gibt, die wirklich an ihren Bedürfnissen interessiert sind. Sie tun stattdessen deren Interesse sarkastisch ab, ist doch das folgende Vorgehen für sie ungewohnt: „Ich sage dir, worum es mir geht (meine Bedürfnisse) und du sagst mir, worum es dir geht (deine Bedürfnisse), und dann suchen wir nach etwas, was für uns beide passt. Wenn ich deine Bedürfnisse nicht kenne, wie soll ich sie berücksichtigen?“ Wenn der GFKler fragt: „Was ist dir denn daran wichtig?“ hört der GFK-Fremde: „Rechtfertige dich!“ – Schade um den wohlgemeinten Versuch gemeinsam eine Lösung zu finden.

Vielleicht hilft es, wenn du deinem Gesprächspartner erklärst, was du da machst und warum. Besonders dann, wenn er dich noch mit anderen Kommunikationsgewohnheiten kennt.

Auch das unerwartete Mitgefühl kann beängstigend wirken. Da steht jemand (GfKler) vor einem und benennt Bedürfnisse, die einen berühren, von denen man aber nicht wusste, dass man sie hat. Schutzlos und nackt streitet man alles ab, hat man doch oft Jahre damit verbracht, genau dieses Bedürfnis zu verstecken. Da nützt es gar nichts, wenn der GFKler erzählt, wie viel es ihm geholfen hat, als er empathisch gehört wurde.

Hat jemand plötzlich Tränen in den Augen, dann kannst du davon ausgehen, dass du die richtigen Gefühle und Bedürfnisse erraten hast. Schlägt er dann aber unerwartet verbal zurück, waren es die, die er nicht zeigen wollte. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass GFK Nähe schafft und nicht jeder damit umgehen kann/will. – Missverständnisse sind menschlich und lassen sich nicht immer vermeiden. Soll heißen, sei nicht so streng mit dir, wenn es mal nicht nach Lehrbuch läuft.

Kennst du noch mehr solcher Schwierigkeiten im Einsatz der GFK, dann schreib mir doch. Ich bin an Erfahrungen zu diesem Thema interessiert.

Hier (oder im nächsten Beitrag) liest du mehr zum Thema „Empathie“.