schreibend denken und fühlend verstehen wollen


Hinterlasse einen Kommentar

Selbstständig – wieviel bist du?

Selbstständig bin ich schon lange. Und wenn ich mir recht überlege, was mir am Anfang am meisten Schwierigkeiten bereitet hat, war es der Umgang mit der Arbeitszeit. Zuvor als Angestellte war ich gewohnt, einen großen Arbeitsumfang effektiv abzuarbeiten. In der Selbstständigkeit war das anders. Für mein Business arbeitete ich wenig, Gedanken darüber machte ich mir viel. Gleich nach dem Aufwachen fing ich damit an, während der Mittagspause machte ich mir Notizen, die besprach ich nach Feierabend mit Freunden und versuchte vor dem Einschlafen festzulegen, was ich am nächsten Tag eigentlich anfangen wollte. Da ich nachts nicht zu einer Entscheidung kam, begann ich am nächsten Morgen wieder von vorne. Tat ich das nicht, haderte ich mit mir. Ich war total erschöpft. Zum Glück sprach ich mit einer Freundin, die mein Problem auf den Punkt brachte:

„Du bist in einer Doppelrolle! Du bist jetzt Chefin und Angestellte in einem.“

Das brachte die Erkenntnis. Als Chefin war ich für die Unternehmensausrichtung verantwortlich, und das war mir neu. Ich musste Ziele definieren, Projekte entwickeln, Prioritäten setzen und vor allem der Angestellten erklären, was sie tun sollte. Und außerdem hatte ich die finanzielle Verantwortung, die ungewohnt auf mir lastete.

Andererseits war ich Angestellte. Ich musste Flyer erstellen, drucken und verteilen, Akquisetelefonate führen, den Seminarraum vorbereiten, einkaufen, putzen, die Unterlagen rausschicken und vieles, vieles mehr. Und wie jede Angestellte, wollte ich von meiner Arbeitgeberin nach der Arbeit in Ruhe gelassen werden, was leider nicht der Fall war. Ich wollte Feierabend und Urlaub haben, was auch nicht selbstverständlich war. Optimale Arbeitsbedingungen waren das nicht, vor allem wenn man die Bezahlung berücksichtigte.

Ich steckte also in zwei Rollen fest, ich war zur multiplen Persönlichkeit geworden. Hinzu kam, dass die Chefin noch jung und unerfahren war. Sie konnte sich schwer gegenüber der Angestellten behaupten. Oft wusste sie sich nicht anders zu helfen, als Urlaubssperren zu verhängen sowie Überstunden und Wochenendarbeit zu fordern.

Ich hatte also eine handfeste betriebliche Auseinandersetzung am Laufen. Alle paar Tage trat die Angestellte in den Streik. Dadurch geriet die Chefin noch mehr unter Druck und schraubte die Erwartungen hoch.

Als ich dies erkannte, führte ich ein paar Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Regelungen ein. Erstens Angestellte haben einen gesetzlichen Anspruch auf Urlaub und Freizeit. Im Gegenzug versuchte ich die Angestellte dazu zu bewegen, früher anzufangen, was nicht gelang. Also legte ich die planerische Arbeit der Chefin auf den Vormittag. Das bedeutet, dass ich mir Zeit nehme, in Ruhe nachzudenken, und dann Entscheidungen treffe, am Schreibtisch, nicht im Bett. Da waren Gedanken zur Unternehmensstrategie ab sofort tabu.

Das interne Gesprächsklima hat sich verbessert. Chefin und Angestellte werfen sich jetzt nicht mehr gegenseitig vor, sich auf Kosten der anderen auf die faule Haut zu legen. Alle wissen, dass zwei Rollen nicht 2x 40 Stunden bedeuten, sondern 2×20 Stunden.

Nicht alle Spannungen haben sich damit gelösten, aber heute erlebe ich mich wieder als effektiv. Arbeit und Freizeit stehen im richtigen Verhältnis zueinander. Ich bin für den Hinweis zu den beiden Rollen unglaublich dankbar, deshalb liest du heute davon. Er hat mir inneren Frieden ermöglicht.


Ein Kommentar

Die Stellschrauben am Selbstvertrauen – Teil 2

(Können, Erfahrung, Erwartung und Vertrauen.)

Erfahrung

Nachdem ich im ersten Teil darüber geschrieben habe, wie Können das Selbstvertrauen beeinflusst, möchte ich heute erforschen, wie Erfahrung darauf wirkt.

Erfahrung und Selbstvertrauen haben ein interessantes Verhältnis zueinander. Immer dann, wenn ein neuer Lebensabschnitt ansteht und man folglich keine Erfahrungen auf dem Gebiet hat, sieht man sich auf sein Selbstvertrauen zurückgeworfen. Zum Beispiel war es für mich nach dem Studium eine Qual (wegen ständiger Selbstzweifel) Bewerbungen zu schreiben und Vorstellungsgespräche zu führen. Einmal musste ich in einem Vorstellungsgespräch bei der Frage passen, ob ich mehrere Aufgaben gleichzeitig im Blick behalten könne. Ich wusste es nicht und blieb die Antwort schuldig. In den folgenden Jahren wurde mir klar, dass ich diese Frage mit einem beherzten „Ja“ hätte beantworten können. Heute stecke ich wieder in einer Bewerbungsphase und ich antworte mit mehr Selbstvertrauen, wenn es um Fragen nach Fähigkeiten oder Erfahrungen geht, die ich noch nicht gemacht habe.

Unser Selbstvertrauen nimmt mit steigendem Alter zu, das heißt mit zunehmender Erfahrung. Doch das Gegenteil kann auch passieren. Frauen, die längere Zeit wegen der Kinder zu Hause blieben, erleben sich als viel unsicherer im Beruf, als sie es zuvor waren. Ihnen fehlt die Erfahrung. Im zwischenmenschlichen Bereich ist es genauso. Wie unsicher ist man mit dem ersten Kind. Und um wie viel gelassener beim Dritten? Und mit dem Nachzügler kann es sich anfühlen, als würde man wieder von vorne anfangen.

Der Unterschied zwischen Beruf und Familie ist vielleicht der, dass zum Beruf eine Phase des Lernens gehört (Studium, Ausbildung). Junge Eltern dagegen sehen sich mitunter sehr unvorbereitet der Aufgabe gegenüber, ein Baby zu versorgen. Doch genau dieses Reingestoßen-Sein ist ein Vorteil. Man muss es tun, man kann nicht mehr darüber nachdenken, ob man es kann oder nicht oder ob man es sich zutraut. Denn genau dieses Warten auf innere Sicherheit ist der Erfahrungskiller Nr. 1 und schadet damit genau dem, worauf man wartet, dem Selbstvertrauen. Was dabei unberücksichtigt bleibt, ist die Tatsache, dass Können oder genauer gesagt Wissen nur einen Teil der Kompetenz ausmacht. Die Praxis ist meist viel komplexer und kann eigentlich nur im täglichen Leben geübt werden. Und das, was man am meisten üben muss, ist mit „Niederlagen und Absagen umgehen“, Ziele korrigieren und weitermachen, obwohl man gerade nicht weiß, wo es hingeht. Alles Dinge, die wir nicht mit Selbstvertrauen in Verbindung bringen. Und trotzdem wächst es daran!

Doch warum ist Selbstvertrauen begrenzt? Lehne ich zum Beispiel eine Aufgabe ab, weil ich sie mir nicht zutraue, dann kann ich mich dafür verurteilen, die Chance verpasst zu haben und mein Selbstvertrauen dafür verantwortlich machen. Aber vielleicht hat mein Selbstvertrauen mich vor einer großen Überforderung bewahrt. Man stelle sich nur vor, wie schwer ist es, (besonders wenn man hoch gepokert oder viel eingesetzt hat) zu sagen: „Tut mir leid, ich habe die Aufgabe oder mich falsch eingeschätzt. Ich kann das nicht.“ Genau genommen kenne ich niemanden, der das je zugegeben hätte. Dafür viele, auf die das ganz oder in Teilen zutrifft.

Wenn du dich also gerade verurteilst, dass du nicht genug Selbstvertrauen besitzt, dann kannst du dich fragen: Welche Erfahrungen würde ich machen, wenn ich diese Herausforderung annehme (positive und negative)? Und gibt es einen guten Grund, auch die negativen in Kauf zu nehmen?

Welche Erfahrungen wir machen, hängt zu großen Teilen von unseren Erwartungen ab, und damit wirken Erwartungen indirekt auf unser Selbstvertrauen.

Lese dazu mehr im nächsten Blog.