schreibend denken und fühlend verstehen wollen


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Bin ich gut genug?

Eine Frage, auf die die meisten Menschen wohl kein freudiges „Ja“ haben. Schließlich denkt es in uns: Ich sollte mehr Sport treiben und Diät halten. Ich leiste nicht genug! Ich sollte belastbarer sein und außerdem durchsetzungsfähiger. Und damit nicht genug, ich sollte mehr Work-Live-Balance betreiben und damit fürsorglicher, glücklicher oder zumindest rundum zufrieden sein; vom Geld und glücklichen Sex haben wir hier noch gar nicht gesprochen.

Dieses ständige An-sich-herummäkeln tut dem Selbstwert nicht gut.

Lange Zeit dachte ich, Selbstwert bestünde aus Glaubenssätzen wie: Ich sehe gut aus! Ich fühle mich stark und erfolgreich! Aber nein, die Schamforscherin und Buchautorin* Brené Brown hat in ihren Forschungen etwas anderes entdeckt. Sie fand heraus, dass Menschen, „die aus vollem Herzen leben“ und damit viel Selbstbewusstsein zeigen, glauben, dass sie „gut genug“ sind. Das ist die Basis. Man muss nicht glauben, dass man Superman ist. Nein, es reicht aus zu glauben, dass man gut genug ist.

Das ist etwas komplett anderes als das, was Perfektionisten tun und denken. Perfektionisten sind Menschen, von denen andere denken, dass die nun wirklich mehr als gut genug sind. Aber wie sieht es in ihnen aus? Ganz anders. Der Grund, warum sie so viel Zeit auf Perfektion verwenden, liegt darin, dass niemand bemerken darf, wie es eigentlich in ihnen aussieht. Aber wenn man genau hinhört oder eine Perfektionistin persönlich kennt, dann scheinen die nagenden Selbstzweifel durch den schillernden Perfektionisten-Panzer.

Brené Brown zieht eine erstaunliche Verbindung zwischen „besonderen Leistungen“ und dem Gefühl „gut genug zu sein“. Diese ist nicht so offensichtlich und wird aber deutlich, wenn man sich bewusst macht: Niemand weiß, dass er etwas Besonderes leisten kann, bevor er es nicht getan und anderen Menschen vorgestellt hat. Dieser Schritt in die Öffentlichkeit (auch wenn es nur eine Person ist) braucht Mut, schließlich riskiert man kritisiert oder gar verlacht zu werden. Und diesen Mut finden wir, wenn wir glauben, gut genug zu sein. „Gut genug“ ist das Sprungbrett, das uns in die Luft katapultiert, und „gut genug“ ist das Sicherheitsnetz, das uns wieder auffängt, wenn es mal schiefläuft.

Und was, wenn man daran nicht glaubt? – Kein Grund sich zu verurteilen!

Die gute Nachricht ist, man kann es üben, zum Beispiel so:

Mach dir deine Selbstabwertungen bewusst. Oft ist man so gewohnt, sich selbst zu beschimpfen, dass es einem gar nicht mehr auffällt. Ein Blick in den Spiegel am Morgen und der Gedanke: „Oh, du siehst ganze schön alt aus!“ schießt einem in den Kopf. Aber, STOP! Nochmal zurück:  „Hey, tut mir leid! Du siehst gut genug aus!“ Ein Blick auf die to-do-Liste am Abend: „Wieder nichts geschafft!“ STOP! „Das, was ich geschafft habe, war gut genug!“ Ein Telefonat mit der besten Freundin: „Mensch, ich hätte echt mitfühlender sein sollen!“ STOP! „Das war das Beste, was ich zu geben in der Lage war! Es war gut genug!“

Nun bist du dran, mache dir drei Urteile bewusst, die du gegenüber dir selbst hast, und ersetze sie mit „Ich bin gut genug!“ Besonders wirkungsvoll ist das, wenn man es laut zu seinem Spiegelbild sagt: „Du bist gut genug!“

Wie fühlt sich dieser neue Kontakt mit dir selbst an?

*Buch: „Verletzlichkeit macht stark“ von Brené Brown


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Negativ sticht positiv – eine biologische Programmierung

Beim Erinnern bevorzugt das Gehirn negative Erlebnisse. Je schlimmer und bedrohlicher sie sind, desto tiefer prägen sie sich ein. Und nicht nur das, taucht die Erinnerung wieder auf, reaktiviert unser Gehirn alle dazugehörenden Gefühle und schwämmt damit den Körper. Es stellt damit sicher, dass wir uns vor lebensbedrohlichen Dingen fernhalten und die Auslöser auf gar keinen Fall vergessen. Das funktioniert so gut, dass manche Eltern es als effektive Erziehungsmethode schätzen. Hat man einmal gelernt, sich für etwas zu schämen, taucht das Gefühl beim bloßen Gedanken daran wieder auf.

Der Nachteil liegt auf der Hand. Gehorsame Kinder, die durch Angst und Scham zu einem angepassten Verhalten gebracht wurden, haben keinen Selbstwert. Die Werte, nach denen sie leben, sind nicht ihre eigenen. Schließlich bedeutet Selbstwert, dass der Wert aus einem selbst kommt. Man könnte sagen, diese Kinder haben Fremdwert.

Marktforscher haben herausgefunden, dass es 7 positive Nachrichten zu einem Produkt braucht, bis ein Kunde nach einer Negativaussage seine Meinung wieder ändert. Daraus kann man ableiten, dass unser Gehirn negative Ereignisse um den Faktor 7 bevorzugt. Wer das überprüfen möchte, gehe zum nächsten Zeitungsstand und beobachte mal, welches Titelblatt seine Aufmerksamkeit als erstes auf sich zieht. Auch wenn man keine Bildleserin ist, wird es wahrscheinlich das Bild der IS-Kämpfer sein, die wütend die Gewehre schütteln, oder das Bild der ausgebrannten Wohnung mit weinenden Menschen im Vordergrund. Die hübsche Zimmerdeko von „Schöner Wohnen“ nimmt man in den ersten 5 Sekunden nicht wahr. Sollten die Marktforscher Recht haben, wird es 7-mal länger dauern, bis wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten. (Ich würde behaupten, es dauert länger.)

Was hat das für Folgen auf unser Selbstbild? Braucht man ein gutes Gedächtnis, damit man mit sich selbst zufrieden ist? Ist es nicht praktischer, vergesslich zu sein, um sich an all die Fauxpas und Fehler nicht zu erinnern? Nur, wenn einem das Vergessen des Negativen gelingt, dann gelingt das Vergessen des Positiven noch viel besser.

Hier eine kleine Übung: Versuch dich an etwas zu erinnern, was du gestern getan hast und das du gut findest. Es muss nichts Großes sein. Zum Beispiel so etwas wie: „Ich habe endlich die Küche geputzt, es sieht so schön aus.“ Es gibt zwei Bedingungen für diese Übung: a) du musst das, was du getan hast, positiv bewerten und b) du musst diese Wertung auch fühlen können (die gefühlte Freude ist der Beweis, dass du deine Werte erfüllt hast und nicht die deiner Mutter).

Wem das schwer fällt, dem empfehle ich, diese Übung jeden Morgen zu machen. Schreibe in ein Tagebuch fünf positive Taten des gestrigen Tages. Sollten es am Anfang nur 1 oder 2 sein, verliere nicht den Mut. Mache weiter und überprüfen einmal, ob du den Level von dem, was du als „gut“ bezeichnen würdest, hinunterschrauben kannst, sodass es fünf Stück werden. Wenn man will, dass es eine Wirkung auf das Gehirn hat, dann sind drei Monate ein guter Zeitraum, diesem eine neue Funktionsweise beizubringen. Weniger ist natürlich auch gut. Ich habe es ungefähr ein halbes Jahr lang gemacht. Nicht nur, dass es die Meinung von mir selbst verbessert hat, sondern auch, dass mein Gedächtnis allgemein, deutlich besser geworden ist. Zufrieden beendete ich die Übung, um nach zwei Wochen wieder anzufangen – ich vermisste die angenehmen Gefühle zu sehr.

Fazit: Wenn der Focus stimmt, dann ist ein gutes Gedächtnis dem Selbstwert sehr förderlich!


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Selbstwert mit und ohne Lottoschein

Ich habe mal gelesen, dass es bei der Entwicklung von Selbstwertgefühl keine Reihenfolge in dem Sinne gibt, dass man erst Selbstbewusstsein entwickelt und es dann nutzt. Genaugenommen entsteht Selbstwert in dem Moment, in dem man etwas tut. Das hat etwas Absurdes, ist aber so. Schauen wir uns ein Beispiel an. Wenn ich das 1. Mal vor einem großen Publikum spreche, dann kann ich alles Mögliche dazu vorbereiten, außer das „vor einem großen Publikum sprechen“. Das bleibt das Neue und ist auch nicht übbar. Doch genau da brauchen wir Selbstbewusstsein. Richtig sichtbar wird es dann erst hinterher: „Puh, das war aber aufregend! Aber es ist doch erstaunlich gut gelaufen!“ Man ist stolz, dass man es geschafft hat. Und als nächstes steigt das Selbstbewusstsein und damit die Bereitschaft, es das nächste Mal wieder zu versuchen. Ganz anders ist es, wenn man scheitert, dann ist das Weitermachen extrem schwer. Doch trotz eines Misserfolges weiterzumachen, auch das zeichnet Menschen mit einem guten Selbstbewusstsein aus. Statt ganz aufzugeben, verändern sie das, was sie verändern können. Zum Beispiel mehr üben, ein leichter erreichbares Ziel suchen, es einfach nochmal probieren etc. Mich selbst beruhigt das Prinzip: „Erst tun, dann Selbstbewusstsein!“ Jetzt muss ich nicht mehr warten, bis „es“ da ist. Ich kann einfach anfangen.

Doch die Sicherheitsfreaks unter uns werden jetzt vielleicht sagen: „Aber mein Selbstwert reicht einfach nicht aus, um es zu tun.“ Wenn wir sicher sein wollen, dass etwas genau so passiert, wie wir es wollen, dann ist mangelndes Selbstbewusstsein eine tolle Strategie. Das mangelnde Selbstwertgefühl sorgt dafür, dass nichts Unerwartetes eintritt. Man wird nie Vorträge vor 500 Leuten halte und folglich auch nie vor Aufregung kaum schlafen können und sich auch nie anhören müssen, dass man die Nervosität in der Stimme gehört habe oder nicht so professionell rüberkam. Jeder der Sicherheit groß schreibt, darf sich hier zur erfolgreichen Erfüllung seines Sicherheitsbedürfnisses beglückwünschen.

Die Menschen, die an die Kraft der Wünsche (z.B. ans Universum) glauben, werden sagen: „Wenn ich etwas wirklich will, dann wird es auch eintreten.“ Auffallender Weise sagen sie das lieber zu anderen und wollen anscheinend selbst noch nicht intensiv genug. Und falls sie doch den Mut gefunden haben, dann ist dieses Denken nur so lange ein Segen, wie alles gut läuft. Nach mehreren gescheiterten Versuchen wird diese Haltung zum Bumerang. Dann tauchen Fragen auf, wie: „Was stimmt denn mit meiner Haltung nicht? Will ich das wirklich erreichen oder wünsche ich mir nicht insgeheim den Misserfolg, der mir ja auch prompt geliefert wird?“ Das sind gute Fragen, um das bisschen Selbstwertgefühl, was man sich aufgebaut hat, wieder auszumerzen.

Es gibt etwas, was sicherheitsliebende Menschen zu viel und Universumsgäubige zu wenig beachten. Das ist die Außenwelt! Die einen überbewerten sie und wollen eindeutige Beweise, die es im Vorweg nie gibt. So ist zum Beispiel keine Geschäftsidee gut genug, um die Selbstständigkeit zu wagen. Die Universumsgläubigen hingegen ignorieren die Außenwelt lieber ganz. Alles was passiert, ist Ausdruck der inneren Haltung. Egal, wie viele Menschen zuvor mit der Idee gescheitert sind, es liegt an der inneren Haltung. Dinge wie „Angebot, Nachfrage und Markt“ gibt es nicht. Die Last und die Verantwortung, die man sich dabei aufbürdet, können einen in Burn-out und Verzweiflung treiben.

Ich bleibe bei meiner Meinung, man muss es tun, um rauszukriegen, ob es klappt. Und sollte es nicht klappen, geht es darum, dass man die Verantwortung für das übernimmt, worauf man Einfluss hat, und die Macht dessen anerkennt, auf das man keinen Einfluss hat.

Also, was hat jetzt das Selbstwertgefühl mit einem Lottoschein gemeinsam?

Moses und der Lottoschein

Moses betet jeden Abend zu Gott:

„Lieber Herr, bitte erfülle mir diesen einen Wunsch. Bitte lass mich einen 6er im Lotto gewinnen. Lieber Herr, das ist mein einziger Wunsch, bitte!“

Jeden Abend betet er so. Eines Abends reißt die Wolkendecke auf und der Herr tritt hervor. Wütend donnert seine Stimme vom Himmel:

„Moses, ich würde dir deinen Wunsch ja erfüllen, nur…

… kauf dir endlich einen Lottoschein!“

(Man beachte, dass Moses etwas tun und nicht seine innere Haltung ändern soll.)

So ist es mit dem Selbstwertgefühl. Man kann drum bitten, aber letztendlich muss man den Lottoschein kaufen und vor allem einlösen, um zu sehen, was man gewonnen hat.


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Was wir schätzen und warum?

Das Wertschätzen von Tugenden ist heute schon fast aus der Mode gekommen. Individualität dagegen wird ganz groß geschrieben. Individuell-sein heißt, sich aus der Masse der Menschen abheben. Daraus entsteht zwangsläufig eine Wettkampfsituation, da aus der Masse eben nur einer hervorstechen kann. Und der Gewinner bekommt zum Lohn Aufmerksamkeit, Ruhm und Anerkennung. Aber auch das „Einfügen in die Masse“ ist Grund für Wertschätzung, auch wenn dies nicht so offensichtlich ist. Im Tanz ist es zum Beispiel notwendig sich in die Gruppe und den Rhythmus einzufügen. Ein guter Tänzer gibt seine individuelle Art, sich zu bewegen, auf, um sich als Paar wie eins zu bewegen. Auch Teamwork ist nur erfolgreich, wenn sich Mitarbeiter in den Arbeitsabläufen und Zielen aufeinander abstimmen. Wir erleben ein gelungenes „sich einfügen“ als Harmonie. Nur Individuen ergeben eben keine Gemeinschaft. Für das Einfügen bekommt der einzelne selten Wertschätzung, obwohl wir es schätzen und uns beschweren, wenn es mal „nicht läuft“. Honoriert wird das Gesamtwerk oder die Gesamtleistung. Und das oft, ohne zu wissen, wer alles dazu beigetragen hat. So werden in einer Filmvorschau der Regisseur und die Hauptdarsteller erwähnt. Wer noch alles dazu beigetragen hat, sieht man erst im Nachspann. Bei Firmen und Familien hingegen wird es oft gar nicht erwähnt. Trotzdem erlebt der einzelne eine Aufwertung durch die Gruppe. Allein die Identifikation mit der Firma, der Familie oder dem Verein reicht, um stolz zu sein und Wertschätzung zu bekommen. Diese Aufwertung ist wechselseitig, schließlich kann die Gemeinschaft nur durch den Beitrag von vielen einzelnen existieren. Und dieser Beitrag ist nur nicht so offensichtlich, weil er eben aus dem „nicht auffallen“ besteht.

Wir schätzen also das harmonische, große Ganze oder den einzelnen, der sich abhebt. Spannend ist, dass es den meisten Menschen schwer fällt, Anerkennung für das „Sich einfügen“ entgegenzunehmen, obwohl das oft Können voraussetzt. Äußert man hingegen Wertschätzung für das Gesamte, dann glühen sie vor stolz. Wer nun glaubt, die individuelle Leistung sei doch der Königsweg, der irrt. Wir Menschen brauchen beides. Und für beides brauchen wir eine Bezugsgruppe, um uns selbst spüren und definieren zu können. Sowohl das Sich-abheben als auch das Sich-einfügen ist notwendig, um einen gesunden Selbstwert auszubilden. Dabei regulieren sich das Abheben oder Einfügen im Idealfall wechselseitig. Verlegt man sich auf einen Pol in der Annahme, dass das den Selbstwert steigert, vergrößert sich am anderen Ende die Unsicherheit. Versuche ich also meinen Selbstwert zu steigern, indem ich mich von allen Kollegen durch meine Leistung abhebe, dann werde ich feststellen, dass mir das Anerkennung bringt. In der Gruppenzugehörigkeit werde ich hingegen unsicherer. Wenn ich hingegen meinen Selbstwert steigern möchte, in dem ich Teil einer Glaubensgemeinschaft werde, dann gibt mir die Gemeinschaft Halt, aber ich werde große Unsicherheit erleben, wenn es darum geht, meine individuelle Meinung zu vertreten. Wer ganz oben ist, ist alleine. Wer ganz in der Gemeinschaft aufgeht, ist niemand.

Damit ist Selbstwert ein labiles Gleichgewicht, was immer wieder ausbalancieren werden muss. Und gesund ist nicht, wer starr an einer Seite festhält, sondern wer sich vom Gegenpol verunsichern und anziehen lässt und dem eine Neuausrichtung gelingt.

Und um mit diesen Zeiten der Unsicherheit klarzukommen, brauchen wir Menschen Liebe. Die Liebe ist an keine Leistung gekoppelt und meint den Menschen um seiner selbst willen. Dieses Prinzip lehrt uns auch der kleine Prinz im gleichnamigen Roman von SaintExupery, als er vor dem Feld mit lauter Rosen steht. Erst ist er entsetzt, weil sie seiner heiß geliebten Rose so ähneln, doch dann erkennt er: „Meine Rose ist ganz anders als ihr. Meine Rose ist einzigartig, weil ich sie gegossen und mich um sie gekümmert habe.“ Die Liebe hebt uns aus der Uniformität. Und das, ohne etwas anderes sein zu müssen, als man selbst. Auch Freunde sind nicht bessere oder schlechtere Menschen als andere, sie sind unsere Freunde, kraft unserer Liebe. Und so sind Liebe und Freundschaft der Mikrokosmos, indem wir für den anderen einzigartig sind und harmonisch miteinander schwingen.


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Die Stellschrauben am Selbstvertrauen – Teil 2

(Können, Erfahrung, Erwartung und Vertrauen.)

Erfahrung

Nachdem ich im ersten Teil darüber geschrieben habe, wie Können das Selbstvertrauen beeinflusst, möchte ich heute erforschen, wie Erfahrung darauf wirkt.

Erfahrung und Selbstvertrauen haben ein interessantes Verhältnis zueinander. Immer dann, wenn ein neuer Lebensabschnitt ansteht und man folglich keine Erfahrungen auf dem Gebiet hat, sieht man sich auf sein Selbstvertrauen zurückgeworfen. Zum Beispiel war es für mich nach dem Studium eine Qual (wegen ständiger Selbstzweifel) Bewerbungen zu schreiben und Vorstellungsgespräche zu führen. Einmal musste ich in einem Vorstellungsgespräch bei der Frage passen, ob ich mehrere Aufgaben gleichzeitig im Blick behalten könne. Ich wusste es nicht und blieb die Antwort schuldig. In den folgenden Jahren wurde mir klar, dass ich diese Frage mit einem beherzten „Ja“ hätte beantworten können. Heute stecke ich wieder in einer Bewerbungsphase und ich antworte mit mehr Selbstvertrauen, wenn es um Fragen nach Fähigkeiten oder Erfahrungen geht, die ich noch nicht gemacht habe.

Unser Selbstvertrauen nimmt mit steigendem Alter zu, das heißt mit zunehmender Erfahrung. Doch das Gegenteil kann auch passieren. Frauen, die längere Zeit wegen der Kinder zu Hause blieben, erleben sich als viel unsicherer im Beruf, als sie es zuvor waren. Ihnen fehlt die Erfahrung. Im zwischenmenschlichen Bereich ist es genauso. Wie unsicher ist man mit dem ersten Kind. Und um wie viel gelassener beim Dritten? Und mit dem Nachzügler kann es sich anfühlen, als würde man wieder von vorne anfangen.

Der Unterschied zwischen Beruf und Familie ist vielleicht der, dass zum Beruf eine Phase des Lernens gehört (Studium, Ausbildung). Junge Eltern dagegen sehen sich mitunter sehr unvorbereitet der Aufgabe gegenüber, ein Baby zu versorgen. Doch genau dieses Reingestoßen-Sein ist ein Vorteil. Man muss es tun, man kann nicht mehr darüber nachdenken, ob man es kann oder nicht oder ob man es sich zutraut. Denn genau dieses Warten auf innere Sicherheit ist der Erfahrungskiller Nr. 1 und schadet damit genau dem, worauf man wartet, dem Selbstvertrauen. Was dabei unberücksichtigt bleibt, ist die Tatsache, dass Können oder genauer gesagt Wissen nur einen Teil der Kompetenz ausmacht. Die Praxis ist meist viel komplexer und kann eigentlich nur im täglichen Leben geübt werden. Und das, was man am meisten üben muss, ist mit „Niederlagen und Absagen umgehen“, Ziele korrigieren und weitermachen, obwohl man gerade nicht weiß, wo es hingeht. Alles Dinge, die wir nicht mit Selbstvertrauen in Verbindung bringen. Und trotzdem wächst es daran!

Doch warum ist Selbstvertrauen begrenzt? Lehne ich zum Beispiel eine Aufgabe ab, weil ich sie mir nicht zutraue, dann kann ich mich dafür verurteilen, die Chance verpasst zu haben und mein Selbstvertrauen dafür verantwortlich machen. Aber vielleicht hat mein Selbstvertrauen mich vor einer großen Überforderung bewahrt. Man stelle sich nur vor, wie schwer ist es, (besonders wenn man hoch gepokert oder viel eingesetzt hat) zu sagen: „Tut mir leid, ich habe die Aufgabe oder mich falsch eingeschätzt. Ich kann das nicht.“ Genau genommen kenne ich niemanden, der das je zugegeben hätte. Dafür viele, auf die das ganz oder in Teilen zutrifft.

Wenn du dich also gerade verurteilst, dass du nicht genug Selbstvertrauen besitzt, dann kannst du dich fragen: Welche Erfahrungen würde ich machen, wenn ich diese Herausforderung annehme (positive und negative)? Und gibt es einen guten Grund, auch die negativen in Kauf zu nehmen?

Welche Erfahrungen wir machen, hängt zu großen Teilen von unseren Erwartungen ab, und damit wirken Erwartungen indirekt auf unser Selbstvertrauen.

Lese dazu mehr im nächsten Blog.


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Die Stellschrauben am Selbstvertrauen – Teil 1

Ich habe mir in meinem Leben viel Gedanken zum Thema Selbstvertrauen gemacht. Vermutlich weil ich von großem Lampenfieber geplagt bin und es gleichzeitig nicht lassen kann, mir immer wieder meine „Bühnen“ zu suchen. Aus dem Wunsch heraus, etwas entspannter mit diesen Situationen umzugehen, habe ich nach Stellschrauben gesucht, an denen ich drehen kann, um mein Selbstvertrauen zu steigern. Und folgende Schräubchen habe ich gefunden: Können, Erfahrung, Erwartung und Vertrauen.

Fangen wir bei dem an, was sich am leichtesten beeinflussen lässt: „Können“

Wichtig ist dabei zu wissen, dass wir nicht nur fachliche Kompetenzen erwerben können, sondern auch soziale. Nach jahrelangem Studium der Gewaltfreien Kommunikation weiß ich, Empathie lässt sich lernen und damit üben, Selbstwahrnehmung lässt sich lernen und üben und vieles mehr. Voraussetzung dazu ist, dass man den Weg dorthin in kleine Lernschritte aufteilt und diese wiederholt, bis sie selbstverständlich geworden sind. Denn genau das bedeutet üben. Doch was uns scheitern lässt, sind oft zu groß gewählte Ziele. Wenn man ein Instrument lernt, dann kann so ein zu großes Ziel ein Auftritt sein.

Meine Gesanglehrerin meinte einmal, bei einem Musikauftritt bringt man ungefähr 80% seiner Leistung. Das heißt, im Proberaum muss man 20% besser sein, als das, was man vor Zuschauern zeigen will. Die meisten Laien-Redner, -Musiker oder -Schauspieler begehen jedoch den Fehler, dass sie das Beste, was sie können, zeigen wollen. Und oft können sie das noch nicht lange. Die Unsicherheit bei ganz frisch erworbener Kompetenz (die Profis noch nicht als solche bezeichnen würden) wird durch mangelnde Erfahrung verstärkt. Kommt dann noch die übliche Nervosität dazu, ist das Scheitern vorprogrammiert. Wer also meint, sein Selbstvertrauen reiche für einen Auftritt nicht, kann sich entweder besser vorbereiten, ein leichteres Stück oder ein wohlwollendes Publikum wählen.

Das wird all die Menschen enttäuschen, die glauben, dass etwas, was mit viel Leichtigkeit auf der Bühne dargestellt wird, auch mit Leichtigkeit erworben wurde, was nicht stimmt. Ein Flamencogitarrist wurde nach einem Konzert von einer begeisterten Frau mit folgenden Worten angesprochen:

„Ich würde alles dafür geben, um so gut spielen zu können wie Sie!“

Da fragte er: „Was ist denn „alles“?“

„Sagen wir, mein halbes Leben!“

Darauf antwortete er nachdenklich: „Ja, das ist in ungefähr auch das, was ich dafür bezahlt habe. Warum haben Sie nicht so lange geübt?“

Nun, den meisten ist bewusst, dass mehr Können mehr Aufwand bedeutet. Und jeder kann entscheiden, wieviel Aufwand er betreiben möchte und ob es das wert ist. Nur wenn man an der eigenen „Erfolglosigkeit“ leidet, dann nutzt es nichts, es auf mangelndes Selbstwertgefühl zu schieben, wenn es am Einsatz liegt.

Doch es gibt auch die Menschen, die täglich viele Stunden lang Gitarre üben und nie vor Publikum spielen, oder die, die eine Weiterbildung nach der anderen besuchen und trotzdem den Schritt in die Selbstständigkeit nicht wagen. Die brauchen nicht mehr Kompetenz, sondern mehr Erfahrung.

Lese dazu mehr im nächsten Blog!